Luton Town

Armenhaus im Fußball-Schlaraffenland

Die Vogelperspektive des Stadions an der Kenilworth Road offenbart den Unterschied: Statt moderner Hightech-Arena gewährt Luton Towns Heimstätte Einblicke in englische Hinterhof-Romantik.
Die Vogelperspektive des Stadions an der Kenilworth Road offenbart den Unterschied: Statt moderner Hightech-Arena gewährt Luton Towns Heimstätte Einblicke in englische Hinterhof-Romantik. REUTERS
  • Drucken

Der mittellose Londoner Vorstadtklub Luton Town ist in die englische Premier League aufgestiegen. 216.000 Einwohner zählt man, jeder himmelt den Klub, dessen Farben Orange und Dunkelblau, an. Die Geschichte eines echten Fußballmärchens.

Sie waren aus der Vorstadt nach London gekommen, die Fans von Luton Town: Gekleidet in orangefarbene Trikots, zogen 36.000 Schlachtenbummler aus, um ihre Mannschaft im entscheidenden Play-off-Finale gegen Coventry im ehrwürdigen Wembley-Stadion zu unterstützen. Zwei Mannschaften, die eigentlich für das Vorgestern im englischen Fußball stehen, sollten um die Zukunft spielen, einen Startplatz in der Premier League, der teuersten Adresse des Weltfußballs. Es ging in diesen 90 Minuten gleich um stolze 170 Millionen Pfund. In Wembley wurde schon oft Geschichte geschrieben, doch die epische Schlacht, die sich die beiden Klubs da lieferten, ging als eines der größten Märchen in die Annalen des „Mutterlandes des Fußballs“ ein.

Das Drama nahm seinen Lauf, als zuerst Lutons Teamkapitän, Tom Lockyer, kollabierte und vom Platz getragen werden musste. Dem Schockmoment folgten die Führung und kollektiver Jubel. In der zweiten Halbzeit: Ausgleich Coventry. Es folgten: 30 Minuten Verlängerung und Elfmeterschießen. Bangen, Zittern, Hoffen. Als Coventrys Fankaty Dabo den entscheidenden Elfmeter weit über das Tor schoss, gab es für Luton Town kein Halten mehr: Die Spieler von Trainer Rob Edwards rannten auf das Spielfeld, fielen sich um die Arme und jubelten mit den Fans. Selbst Teamkapitän Lockyer, der den Rest der Partie als verkabelter Patient im Spital verfolgte, hielt nichts mehr auf dem Krankenbett. Während die Organisatoren noch dabei waren, die Siegerbühne aufzubauen, dröhnte Tina Turners Hit „Simply the Best“ aus den Stadionboxen. Jener Mutmacher-Song der wenige Tage zuvor verstorbenen Rock-Ikone, den man auch nach fünf Bier noch problemlos mitgrölen kann. In Luton Town umso lauter.

Schandfleck oder Idyll? Tina Turners kometenhafter Aufstieg spiegelt in gewisser Weise auch die Geschichte von Luton Town wider. Die „Hatters“ durchlebten zahlreiche sportliche und finanzielle Krisen, vor neun Jahren spielte der Klub gar nur noch in der fünften Liga. Nur die Gründung einer Treuhandanstalt (Luton Town Supporters' Trust) konnte den Totalabsturz verhindern.

Das nur 10.226 Zuschauer fassende Stadion, die Kenilworth Road, eine windschief zusammengezimmerte Blechkonstruktion inmitten viktorianischer Häuserreihen, ist alles andere als erstligatauglich: Die Beinfreiheit der Sitzplätze gleicht der von Billigfliegern, der Eingang zum Gästesektor befindet sich inmitten eines Backsteinbaus. Auf dem verwinkelten, über mehrere Treppen führenden Weg zu den Rängen erhält der Zuschauer (voyeuristischen) Einblick in die Nachbargärten. Es gleicht einer Milieustudie über Englands Arbeiter und reicht jetzt bis in das Milliarden-Business der Premier League.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.