Interview

Sandra Hüller: „Drehen fällt mir leicht“

Ihre Arbeitsweise sei letztlich immer die gleiche, sagt Sandra Hüller. Egal in welcher Sprache. Erst müsse sie verstehen, warum eine Figur etwas sagt.
Ihre Arbeitsweise sei letztlich immer die gleiche, sagt Sandra Hüller. Egal in welcher Sprache. Erst müsse sie verstehen, warum eine Figur etwas sagt. APA/AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA
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Beim Filmfestival in Cannes wurden heuer gleich zwei Filme ausgezeichnet, in denen Sandra Hüller eine Hauptrolle spielte. Die deutsche Schauspielerin über Luxus und Komfort vor einer Kamera, über Dreharbeiten in mehreren Sprachen und notwendige Distanz zu schwierigen Rollen.

Sie überstrahlte dieses Jahr an der Croisette alles: Sandra Hüller, die dem Kinopublikum 2006 mit dem Berlinale-Erfolg „Requiem“ ein Begriff und 2016 in Cannes mit Maren Ades „Toni Erdmann“ zum Weltstar wurde, spielte gleich zwei Hauptrollen in Wettbewerbsfilmen – und beide wurden mit den zwei wichtigsten Preisen ausgezeichnet. „Anatomie d'une chute“ von der Französin Justine Trier erhielt die Goldene Palme, „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer den Großen Preis der Jury. Hüller dazu auch noch den Preis als Beste Schauspielerin zu geben, ließ das Regelwerk des Festivals allerdings nicht zu. Sich den Kopf über Auszeichnungen zu zerbrechen ist aber ohnehin nicht ihr Ding, gibt die 45-Jährige zu Protokoll, als wir sie kurz nach der Weltpremiere ihrer Filme auf einer Dachterrasse mit Blick über Cannes zum Interview treffen.

Frau Hüller, Sie waren in Cannes mit höchst unterschiedlichen Filmen im Wettbewerb vertreten, „The Zone of Interest“ sowie „Anatomie d'une chute“. Welche Rolle war für Sie die größere Herausforderung?

Sandra Hüller: Ich habe schon häufig gesagt, dass ich die Arbeit an Filmen nicht als riesige Herausforderung empfinde. Es fällt mir nicht sonderlich schwer, eine Rolle vor der Kamera zu spielen. Für mich ist das eher eine sehr privilegierte, komfortable Situation. Oft ist es geradezu luxuriös, weil alle sich gut um einen kümmern und jeder weiß, worauf es ankommt. Schwierig finde ich es nur, wenn Leute sich am Set danebenbenehmen oder jemand zu Dingen genötigt wird, die sie oder er nicht machen möchte. Aber im Idealfalle ist das Drehen etwas, was mir leichtfällt. Wenn es da besondere Herausforderungen gab, dann waren das im Fall von „Anatomie d'une chute“ höchstens linguistische. Denn natürlich musste ich mich sprachlich ein wenig vorbereiten und mein Französisch aufbessern.

Arbeit am Text ist für jemanden, der wie Sie vom Theater kommt, natürlich essenziell. Fühlen Sie sich in anderen Sprachen inzwischen genauso zu Hause wie im Deutschen?

Auf Englisch zu drehen fällt mir inzwischen recht leicht, und auf Französisch wird das hoffentlich noch. Ich liebe es, die Sprache zu sprechen, und es gibt sehr viele französische Schauspielerinnen und Schauspieler, die ich sehr bewundere. Natürlich bedarf es, wie gesagt, einer gewissen Vorbereitung, wenn ich in einer anderen Sprache spiele. Auf Deutsch muss ich über gewisse Dinge nicht nachdenken. Aber ich fühle mich nicht weniger wohl, wenn ich nicht meine Muttersprache spreche. Und letztlich ist meine Arbeitsweise immer die gleiche, denn in jeder Sprache geht es darum, dass ich zuerst verstehen muss, warum eine Figur etwas sagt, dann, wie sie es sagt, und schließlich, wie ich das dann zum Ausdruck bringen kann.

Im Fall von „Anatomie d'une chute“ ist die Mehrsprachigkeit natürlich auch Teil der Figur und der Geschichte, schließlich spielen Sie eine Deutsche, die in Frankreich lebt und mit ihrem Mann Englisch spricht.

Sie war auch Teil des Arbeitsprozesses, der dadurch besonders interessant war. Die Regisseurin Justine Triet spricht natürlich auch Englisch, aber so richtig wohl fühlt sie sich in der Sprache nicht. Genauso wie ich eben nicht unbedingt wirklich komplexe Gespräche auf Französisch führen kann. Deswegen ging es sprachlich am Set immer wieder kreuz und quer, mal in der einen, dann wieder in der anderen Sprache. Und wenn ich die anderen hochnehmen wollte, musste ich nur Deutsch sprechen, denn das verstand niemand.

Ihre Figur in dem Film wird verdächtigt, für den Tod ihres Mannes verantwortlich zu sein. Als Zuschauer erfährt man viele Wahrheiten, aber keine endgültige, nicht wahr?

Justine wollte nicht, dass es nur um die Frage geht, ob sie schuldig ist oder nicht. Viel wichtiger ist es, was die Menschen wahr- und annehmen und welche Schlüsse sie aus meist ganz oberflächlichen Beobachtungen ziehen. Macht sich eine Frau schuldig, weil sie mit ihrem Kind distanzierter umgeht, als man das von anderen kennt? Weil sie Erfolg hat? Weil sie ihre Sexualität frei auslebt? Warum wir wen be- oder verurteilen, ist für die Geschichte viel wichtiger als eine Antwort darauf, ob meine Figur ihren Mann nun tatsächlich getötet hat.

Hedwig Höss, die Frau des KZ-Kommandanten, die Sie in „The Zone of Interest“ spielen, dürften Ihnen menschlich natürlich sehr viel ferner gewesen sein. Ging Ihnen die Rolle besonders nahe?

Nein, das habe ich gar nicht zugelassen. Meine Annäherung an sie war eine rein technische, denn ich wollte mich nicht emotional oder psychisch in sie einfühlen. Ich bin die Rolle von außen angegangen und habe mir zum Beispiel überlegt, wie sich eine Frau bewegt, die so viele Kinder bekommen hat, oder welche Spuren die körperliche Arbeit bei ihr hinterlassen hat. Schwierig fanden mein Kollege Christian Friedel und ich eher die Tatsache, dass wir im Grunde ständig ausblenden mussten, wo wir uns befanden. Wir drehten ja an Originalschauplätzen, in unmittelbarer Nähe zum Lager in Auschwitz beziehungsweise der heutigen Gedenkstätte. Nicht permanent daran zu denken, was dort geschehen ist, das war vielleicht bei diesem Film die größte Schwierigkeit.

„The Zone of Interest“ war im diesjährigen Cannes-Wettbewerb der wohl bemerkenswerteste und ungewöhnlichste Film. Waren Sie erstaunt, als Sie ihn selbst das erste Mal gesehen haben?

Ich war nicht überrascht vom fertigen Film, denn Jonathan Glazer ist ein Regisseur, der mit größtmöglicher Transparenz arbeitet. Er ist Teamplayer durch und durch und manipuliert seine Mitstreiter nicht, nur um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Wir wussten also sehr genau, wie der Film am Ende aussehen würde. Auch wenn natürlich die Spezialeffekte, die Musik und der Sound erst im Nachhinein dazukamen und den Film tatsächlich besonders eindrucksvoll machten.

Sie sagten gerade, dass Sie sich in diesem Fall der Figur psychologisch nicht annähern wollten. Ist das bei Ihren sonstigen Rollen anders?

Für mich ist das in der Regel ein sehr unbewusster Prozess. Sobald ich mich für ein Projekt entschieden habe, beginne ich damit, eigentlich konstant darüber nachzudenken. Egal wo ich bin oder was ich mache. So sammele ich quasi nebenbei Eindrücke, Bilder und Ideen für eine Rolle, denn was ich nicht kann, ist mich bewusst hinzusetzen und zu sagen: So, jetzt bereitest du dich vor. Dafür fehlt mir die Konzentration. Außer natürlich, ich muss ganz konkret etwas lernen, sei es nun Französisch oder Reiten. Bei allem anderen ist es eher so, dass ich mit der Zeit der Wahrheit einer Figur auf die Spur komme. Ich versuche herauszufinden, welches die Gefühle sind, die sie umtreiben, und baue dann darauf auf.

Eine kurze letzte Frage noch angesichts der Unterschiedlichkeit Ihrer beiden neuen Filme: Wonach suchen Sie überhaupt aus, welche Rollen Sie interessieren?

Das kann ich gar nicht pauschal beantworten, weil es jedes Mal etwas anderes ist. Mal ist es der Gedanke, etwas zu spielen, was ich so noch nie gespielt habe. Oder ein Regisseur, mit dem ich schon lang einmal arbeiten wollte. Es kommt auch vor, dass mir ein Kollege ein Projekt vorschlägt und ich neugierig werde. Und manchmal ist es schlicht eine tolle Geschichte, die mich überzeugt. Tut mir leid, dass ich das nicht knackig für eine Überschrift auf einen Punkt bringen kann. ⫻

Steckbrief

Sandra Hüller ist
eine deutsche Schauspielerin, sie wurde 1978 in Suhl geboren. Nach ihrem
Schauspielstudium und diversen Engagements an Theatern hatte Hüller ihre erste bedeutende Filmrolle 2006 als Michaela Klingler in Hans-Christian Schmids Film „Requiem“.

Wichtige Filme waren etwa „Brownian Movement“ (2010), „Toni Erdmann“ (2016) oder „In den Gängen“ (2018). 2020 veröffentlichte Hüller das Mini-Album „Be Your Own Prince“,
das aus selbst komponierten Songs besteht.

Im Jahr 2023 war sie als Irma Sztáray in „Sisi & Ich“ zu sehen. Diese Rolle brachte
ihr erneut eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis ein. Im selben Jahr bekleidete sie Rollen in Justine Triets „Anatomie d'une chute“ und Jonathan Glazers „The Zone of Interest“.

Hüller lebt mit ihrem Lebensgefährten in Leipzig-Plagwitz und Bochum, sie hat eine Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2023)

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