Randerscheinung

Dinge, an denen es kein Vorbeikommen gibt

Carolina Frank
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Niemand sollte drinnen sitzen müssen, wenn er stattdessen mit Freunden im Freien sein kann.

Der Hund will sich die Krallen nicht schneiden lassen. Er fürchtet sich. Er winselt, jault und fletscht. Und kratzt mich mit einer jener Krallen am Bauch, die ich ihm nicht kürzen kann. Dann flüchtet er unter den Tisch. Es hilft aber nix, die Krallen müssen geschnitten werden. Für heute gebe ich trotzdem auf. Der Jüngste will nichts für die Schule machen. Es interessiert ihn nicht. Er winselt, jault und fletscht auch. Immerhin kratzt er mich nicht. Er flüchtet in sein Zimmer und peppelt dabei laut einen Fußball auf den Boden. Aber es hilft auch hier nichts, die Französisch-Vokabeln müssen gelernt werden. Für heute gebe ich trotzdem auf.

Ja, es gibt diese Dinge, an denen es kein Vorbeikommen gibt. Im Leben überhaupt und vor allem gegen Ende des Schuljahres. Egal wie unangenehm, langweilig oder anstrengend sie sind. Und diese Dinge sind für Erwachsene leichter auszuhalten als für Teenager. Oder Hunde. Im Juni, wenn das Strandbad am Donauarm in Konkurrenz zum Schreibtisch tritt, wird alles noch komplizierter. Weil man als Erziehungsberechtigter leichter zwischen Lernen und Konsole konsequent bleiben kann als zwischen Lernen und Schwimmen.

Niemand sollte drinnen sitzen müssen, wenn er stattdessen mit Freunden im Freien sein kann. Niemand sollte seine Krallen geschnitten kriegen, wenn er stattdessen im Schatten in der Wiese liegen kann. Aber es sollte auch niemand Krallen schneiden und Französisch-Vokabel abprüfen müssen, wenn er barfuß und in kurzer Hose sein kann. Denke ich mir und gehe in den Garten. Der Hund kommt unter dem Tisch heraus und geht mir nach. Er sieht, dass ich keine Schere mehr in meinen Händen halte. Der Jüngste schlüpft mit Badezeug zum Garteltürl hinaus. Es wird Zeit für den Notenschluss. 

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("Die Presse Schaufenster" vom 02.06.23)

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