Jemen: Diktator von Sanaa versucht Flucht nach vorn

(c) AP (Hani Mohammed)
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Aus Angst vor einem Umsturz kündigt Staatschef Ali Saleh an, er werde bei der Präsidentschaftswahl 2013 nicht kandidieren. Doch die Opposition scheint nicht beeindruckt und hält an ihrem geplanten Marsch fest.

Wien/Sanaa. „Der Gerechte“ bedeutet sein Name auf Arabisch. Doch gerecht ist seine Herrschaft für die Demonstranten, die dieser Tage durch die Straßen der alten Gebirgsfestung Sanaas ziehen, schon lange nicht mehr. Sie fordern vielmehr das Abdanken von Ali Saleh, von Ali, dem Ungerechten.

Mit den sich überstürzenden Ereignissen von Tunesien und Ägypten im Rücken wittert die jemenitische Opposition ihre Chance. Vor allem linke und islamistische Gruppen, die sich zu einem Bündnis zusammen geschlossen haben, machen gegen den lang gedienten Präsidenten mobil. Seit zwei Wochen finden immer wieder Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt, nicht nur in der Hauptstadt Sanaa, sondern auch in anderen Landesteilen. Im Internet kursiert seit einigen Tagen ein Plakat, das dem ägyptischen Vorbild nachempfunden ist, eine jemenitische Flagge und auf ihr die Zahl 3: Für heute, Donnerstag, haben mehrere Parteien zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen.

„Kein Zurückstellen der Uhr“

Gestern noch hatte Saleh, ein drahtiger Mann mit schwarzem Schnauzer und ergrautem Kopf, im Parlament den Oppositionellen Zugeständnisse versprochen: „Keine Verlängerung, keine Vererbung, kein Zurückstellen der Uhr.“ Nein, er würde nicht wie ursprünglich geplant die Verfassungsänderungen durchziehen, die ihm ein lebenslanges Mandat erlauben; nein, er plane nicht länger die Amtsübergabe an seinen Sohn Ahmed, den Kommandanten der Republikanischen Garde.

Schon Tage zuvor hatte Saleh versucht, mit Angeboten die Unzufriedenheit der Jemeniten zu zügeln. So hatte er angekündigt, einem Viertel der Universitätsabgänger Jobs in Jemens öffentlichem Dienst besorgen zu wollen; seinen Beamten stellte er beträchtliche Lohnerhöhungen in Aussicht; den Wählern versprach Saleh schließlich, die Registrierung für die Parlamentswahlen im April zu erleichtern und kündigte die Direktwahl von Provinzgouverneuren an. Doch seine Beschwichtigungsrufe verhallten ungehört – zumindest vorerst. Die Opposition will an ihrem Protesttag festhalten.

Im Jemen traut man den Ankündigungen Salehs nicht mehr: Dass er freiwillig gehen könnte, er, der vor knapp 33 Jahren im damaligen Nordjemen die Macht ergriff, will niemand richtig glauben. Planmäßig läuft seine Präsidentschaft erst 2013 aus; bis dahin kann noch viel passieren, kann sich der plötzliche Aufruhr in den Straßen der uralten Stadt längst wieder gelegt haben. Oder Saleh ändert einfach mal wieder seine Meinung. Seinen Rückzug hat er schon einmal versprochen.

Der Westen akzeptierte Saleh bisher zähneknirschend als Partner, wohl fürchtend, dass das Sicherheitsrisiko, das zweifelsohne von dem Land ausgeht, ohne den autoritären Verbündeten nur noch größer würde. Vor allem aus den USA erhält Saleh zur Bekämpfung des lokalen al-Qaida-Zweigs große Unterstützung: Umgerechnet 116,3 Millionen Euro Militärhilfe sind es nach Schätzungen jährlich. Die zivile Hilfe aus den Vereinigten Staaten macht demgegenüber nur umgerechnet 30 Millionen Euro aus.

Kritiker werfen dem Präsidenten vor, er habe seinen Sicherheitsapparat hochgerüstet, ohne sich um die Lage der Bevölkerung zu kümmern. Knapp die Hälfte der 23 Millionen Einwohner muss mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen, jeder Dritte ist unterernährt. Mehr als die Hälfte der 15- bis 24-jährigen männlichen Jugendlichen sind laut offiziellen Statistiken arbeitslos.

Starr mag Salehs System sein, stabil ist es indes nicht. Den drohenden „Staatszerfall“ des Jemen diagnostizieren Experten in regelmäßigen Abständen. Neben al-Qaidas Aktivitäten schwelen zwei Konflikte an der Heimatfront: Im Norden kämpfen schiitische Rebellen gegen die Regierungstruppen; im Süden sind Kräfte aktiv, die für eine abermalige Unabhängigkeit des Landesteils eintreten. Die Sezessionisten könnten angesichts des im Wirbel der Proteste geschwächten Saleh ihre Chance wittern.

Revoltieren die Armen nicht?

Allerdings gibt es auch Stimmen, die überhaupt bezweifeln, dass im Jemen eine Revolution à la Tunesien möglich wäre: „Uns fehlt das Bewusstsein für Selbstbestimmung“, schrieb Nadia al-Sakkaf, Chefredakteurin der englischsprachigen Zeitung „Yemen Times“, zu Wochenbeginn. Zwar habe der Jemen eine starke Zivilgesellschaft und freiere Medien als in Ben Alis Tunesien. Doch einer breiten Erhebung stünde die Hoffnungslosigkeit der Armut entgegen. „Die Jemeniten können unter den schlimmsten Lebensumständen existieren. Solange sie nur am Nachmittag Khat (eine weit verbreitete Kaudroge, Anm.) bekommen, kann alles andere warten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2011)

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