Bericht aus Kairo: Demonstranten bejubeln Gamal Mubaraks Rücktritt

Bericht Kairo Demonstranten sammeln
Bericht Kairo Demonstranten sammeln(c) Schneider
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LIVEBERICHT "Presse"-Reporter Wieland Schneider berichtet aus der ägyptischen Hauptstadt.

Samstag, 19 Uhr Ortszeit, Kairo: Vom Tahrir-Platz her ist Jubel zu hören. Die gesamte Führungsriege der herrschenden Partei von Hosni Mubarak ist zurückgetreten, darunter auch Mubaraks Sohn Gamal. Damit kann Gamal nicht als Kandidat der Partei bei der Präsidentenwahl im September antreten - das heißt, Mubarak kann nicht einfach seinen Sohn nachrücken lassen. Tahmina, die seit dem Anfang der Proteste mit dabei ist, freut sich über den Erfolg. Zufrieden geben will sie sich damit aber nicht: „Das ist nur eine halbe Lösung. Die Menschen wollen, dass Mubarak als Präsident zurücktritt. Dafür sind sie auf der Straße."

Die Opposition hat am gestrigen Freitag mit ihrer Großkundgebung ein beeindruckendes Lebenszeichen von sich gegeben. Am Vormittag war die Stimmung am Tahrir-Platz noch gespannt gewesen. Denn es gab Befürchtungen, Mubarak-Anhänger könnten erneut einen Großangriff starten. Doch es blieb weitgehend ruhig. Die Armee hatte am Freitag massiv Präsenz gezeigt, hatte die Eingänge zum Platz mit Stachelband und zusätzlichen Soldaten gesichert: der Tahrir-Platz als Festung, die aber auch rasch zu einem riesigen Gefängnis werden könnte.

Freitag, 10.00 Ortszeit, Kairo: Der Tahrir-Platz beginnt sich mit Menschen zu füllen. Die Demonstranten haben den heutigen Freitag zum Tag der Entscheidung ausgerufen - zu dem Tag, an dem sie mit einer machtvollen Kundgebung Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak zum Rücktritt zwingen wollen. Auch die ersten Gegendemonstranten - Anhänger des Präsidenten - beginnen sich zu sammeln.

Die Spannung ist in Kairos Innenstadt förmlich zu spüren. Die Armee hat ihre Präsenz verstärkt; es wird ein neuer blutiger Höhepunkt der Straßenschlachten der vergangenen Tage befürchtet. Für ausländische Journalisten wird es immer schwieriger, zu berichten, sie werden immer brutaler gejagt. Die Nachricht, dass ein Kollege umgebracht wurde, verbreitete sich unter den Reportern gestern Abend wie ein Lauffeuer. Zwei Hotels wurden mittlerweile evakuiert. In der Straße vor unserem Hotel fuhr die Armee in der Nacht mit einem Kampfpanzer auf, die Soldaten richteten einen Kontrollposten ein. Die Straße führt zum Tahrir-Platz. Bleibt zu hoffen, dass die Soldaten auch eingreifen würden, wenn der Mob das Hotel angreift.

Donnerstag, 10:00 Ortszeit, Tahrir-Platz. Die Spuren des Kampfes, der hier vergangene Nacht tobte, sind unübersehbar. Vor dem Eingang zum Platz liegen unzählige Steine, die den Angreifern als Wurfgeschosse gedient haben. Die Demonstranten haben Barrikaden aus ausgebrannten Autos und Metallteilen errichtet. Wer in den Platz hinein will, wird genau durchsucht. Bis sechs Uhr früh Ortszeit war hier gekämpft worden, hatten Anhänger von Präsident Hosni Mubarak versucht, den Platz zu erobern. Dann zogen sie vorerst ab.

„Zuvor, um fünf Uhr, begannen sie noch von der Brücke des 6. Oktober auf uns zu schießen“, erzählt Noha. Die junge Frau hatte die ganze Nacht auf dem umkämpften Platz ausgeharrt. Eine Flucht wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn die Zugänge zum Platz waren von den Mubarak-Anhängern blockiert. An Flucht denkt sie aber gar nicht. Im Gegenteil: Sie will weiter auf dem Tahrir bleiben. „Und ich hoffe, dass immer mehr Menschen zu uns stoßen, nach dem, was vergangene Nacht hier geschehen ist“, sagt Noha.

In den Gesprächen mit den Demonstranten auf dem Platz ist eine Mischung aus Trauer aber auch Trotz zu spüren. Viele von ihnen tragen Bandagen oder humpeln. Hunderte wurden bei den nächtlichen Zusammenstößen verletzt, es gab mehrere Tote. „Einigen davon wurde in den Kopf oder die Brust geschossen“, berichtet Mohammed. Er glaubt, dass heute ein weiterer Angriff auf den Platz bevorsteht. Doch er will bleiben, so lange bis Mubarak sein Amt abgibt.

(c) Schneider

Mittwoch, 21:45, Kairo. Vom Tahrir-Platz her ist erneut Feuer aus automatischen Waffen zu hören. Zuvor hatten mehrmals Rettungswägen versucht, in Richtung Platz durchzudringen, schafften es aber nicht. Heute war ein übler Tag für den Journalismus in Ägypten. Zahlreiche meiner internationalen Kollegen wurden bedroht, geschlagen, Kameras wurden zerstört. Ein dänischer Kollege kam mit geschwollenem Jochbein zurück ins Hotel. Ihm hatten Pro-Mubarak-Demonstranten ins Gesicht getreten, während er in Hockestellung fotografierte.

Eine Kollegin von BBC wurde vom Mob durch die Straße gejagt. Ich selbst hatte Glück und wurde nur angepöbelt. Vor allem die Fernsehreporter im Hotel diskutieren darüber, ob sie sich morgen wieder auf die Straße wagen sollen. Ein übler Tag für den Journalismus in Ägypten.

Mittwoch, 18:00 Uhr, Kairo. Vom Tahrir-Platz ist Feuer aus automatischen Waffen zu hören, dazwischen die Sirenen von Rettungswägen. Menschen rufen Allah u Akbar. Der Tahrir-Platz ist nach wie vor voll mit Demonstranten. Erneut Schüsse. Die Bediensteten meines Hotels schalten das Licht aus und sagen mir, dass ich sofort die Hotelterrasse verlassen muss, von der man einen guten Blick auf den Tahrir-Platz hat. Am Himmel kreist ein Helikopter. Seit dem frühen Nachmittag toben rund um den Platz schwere Zusammenstöße zwischen Gegnern und Anhängern von Präsident Hosni Mubarak.

Mein Hotel gleich neben dem Tahrir-Platz hat die Eingangstür mit Eisenrollländen verbarrikadiert. Raus und rein kann ich nur mehr über eine kleine Hintertür in einer Seitenstraße. Soldaten hatten am Nachmittag versucht zu verhindern, dass die Zusammenstöße aufgenommen werden. Einigen Kollegen wurden Fotoapparate und Filmkameras abgenommen.

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