Ägypten: "Wir gehen nicht, Mubarak soll gehen"

(c) REUTERS (MOHAMED ABD EL GHANY)
  • Drucken

In einer letzten Kraftanstrengung wollten Hunderttausende Staatschef Mubarak aus dem Amt drängen. Schon am Vormittag drängten sich die Massen zum Tahrir-Platz. Auch die Mubarak-Anhänger demonstrierten wieder.

Zwei Nächte lang waren sie angegriffen worden, mit Steinen, Molotow-Cocktails und Schusswaffen. Mindestens ein Dutzend von ihnen ließen ihr Leben, mehr als 5000 trugen Verletzungen davon. Doch am Freitag marschierten die Gegner des ägyptischen Staatschefs Hosni Mubarak wieder. Bis zum Nachmittag waren hunderttausende Demonstranten im Zentrum Kairos zusammengeströmt.

Mit einer letzten großen Kraftanstrengung wollte die Opposition am Freitag, den sie bereits hoffnungsfroh zu Mubaraks „Tag der Abreise“ ausgerufen hatte, den verhassten Diktator aus dem Amt treiben. Schon am Vormittag drängten sich am Eingang zum Tahrir-Platz, seit elf Tagen das Herz der Proteste, die Massen. Die Schlange der Wartenden reichte weit zurück auf die Gasril-Nil-Brücke. Sie quetschten sich vorbei an Dutzenden Männern, die sich zum Freitagsgebet niedergekniet hatten. Teilweise bildeten Christen Menschenketten, um die betenden Muslime zu schützen. Die Rufe des Vorbeters vermischten sich mit Parolen wie „Weg Mubarak, weg!“ und „Wir gehen nicht, er soll gehen!“.

Auch die Mubarak-Anhänger demonstrierten wieder, allerdings zunächst in weit geringerer Zahl als in den vergangenen Tagen. Das Militär hat seine Präsenz deutlich verstärkt. Neben den Kampfpanzern am Eingang des Platzes sind Soldaten mit Vollvisierhelmen aufmarschiert. Und auch die Demonstranten haben in Sachen Sicherheit weiter aufgerüstet: Unzählige Male wurde man kontrolliert und nach Waffen durchsucht, bis man zum Platz vordringen konnte. Ein älterer Mann kletterte auf einen hohen Ampelmast und schlug mit seinem Schuh auf eine Lederjacke: Die Jacke sollte den Präsidenten symbolisieren. Frauen im Kopftuch und im Niqab zogen Parolen rufend neben Frauen in Jeans und mit offenem, wallendem Haar über den Platz. Sie alle waren beseelt vom selben Wunsch: Mubarak solle sofort zurücktreten. „Wir sind alle hier: Muslime, Christen, Männer, Frauen, Junge, Alte!“, ruft ein junger Mann begeistert. Und ein anderer schreit: „Mubarak hat im Fernsehen gesagt: ,Leute geht doch endlich nach Hause.‘ Aber heute Abend wird er nach Hause gehen.“

Keine Angst mehr vor Mubaraks Schlägertrupps

Der 26-jährige Ahmed ist da nicht so optimistisch: „Ich denke nicht, dass Mubarak schon heute zurücktritt. So rasch geht das nicht. Aber es wird passieren.“ Vom Angebot des Präsidenten, bei der Wahl im September nicht mehr anzutreten, hält Ahmed nichts: „Er würde diese Zeit nützen, um die Macht für seine Partei zu sichern. Er würde weiter die Opposition unterdrücken.“ Angst vor einer erneuten groß angelegten Attacke auf die Demonstranten hat Ahmed nicht: „Am heutigen Tag wagen sie das nicht. Heute sind wir einfach zu viele.“ Aber Mubaraks Schlägertrupps trieben auch am Freitag wieder ihr Unwesen und brannten etwa ein Büro des arabischen Senders TV-al-Jazeera nieder.

Mohssien ist von außerhalb gekommen, um an dem Protest teilzunehmen. „Es gibt noch viele Leute an der Stadtgrenze von Kairo, die zu den Demonstrationen wollen“, berichtete er. „Doch in den Außenbezirken standen Männer mit Messern und Knüppeln an Kontrollposten. Sie wollten die Demonstranten nicht nach Kairo lassen.“ Er habe ihnen erzählt, dass er seinen Bruder besuchen wolle: „Sie haben mir zunächst nicht geglaubt und wollten mich schlagen.“

Auf einmal verdunkelte sich der Himmel, ein Sturm zog auf. Doch die Demonstranten, unter die sich am Nachmittag auch Amr Moussa gemischt hatte, der Generalsekretär der Arabischen Liga, ließen sich davon nicht beeindrucken: „Das Leben hier ist für uns wie in einem Gefängnis“, klagt Mohssien. Ein älterer Mann trat hinzu: „Was meinen Sie? Werden wir es schaffen?“ Das hängt auch von der Stimmung außerhalb des Platzes ab. Nicht wenige Ägypter sind das Chaos der vergangenen Tage leid. Für sie wirkt das Angebot Mubaraks, ohnehin nicht mehr bei den Präsidentenwahlen antreten zu wollen, durchaus verlockend. Auch Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi versuchte am Freitag direkt auf dem Tahrir-Platz den Demonstranten dieses Angebot schmackhaft zu machen und meinte: „Es reicht, Leute“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tahmina will keine Angst
Außenpolitik

Sheimaa will keine Angst mehr haben

Am Beginn der Proteste gegen Ägyptens Präsidenten standen Jugendliche wie die 21-jährige Sheimaa. Mit dem Rückzug Mubaraks will sie sich nicht zufriedengeben – auch wenn die Stimmung gegen die Demonstranten zu kippen droht.
Mubaraks macht Jagd Journalisten
Außenpolitik

Mubaraks Mob macht Jagd auf Journalisten

Regimetreue Kräfte beschuldigen die Medien, an den Unruhen schuld zu sein.
Kairo wird Kampfzone
Außenpolitik

Kairo wird zur Kampfzone

LIVEBERICHT Die Anhänger von Staatschef Hosni Mubarak schlugen zurück. Steine und Molotow-Cocktails flogen, die Armee gab Schüsse ab. Das Regime will nicht weichen.
Proteste in Aegypten
Außenpolitik

Taxifahrt endet mit einer Festnahme

LIVEBERICHT Kaum angekommen in Ägypten wurde ich bereits von der Armee festgehalten. Zum Glück nur für kurze Zeit. Die Stimmung kann hier von einem Moment zum anderen schlagartig kippen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.