Geschlecht, Klasse, Nation

Geschlecht Klasse Nation
Geschlecht Klasse Nation(c) BilderBox.com (Erwin Wodicka)
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Verschiedene Arten der Diskriminierung sind in der Praxis miteinander verknüpft. Ein EU-Projekt hat versucht, Klarheit in das Dickicht zu bringen.

Wenn es um das Thema „Gleichstellung der Geschlechter“ geht, dann blicken mitteleuropäische Frauen oft neidisch auf die skandinavischen Länder – und mit Mitleid auf ihre Geschlechtsgenossinnen in Südeuropa. Doch dieses Klischeebild hält in der Praxis nicht. Denn so generell kann man das nicht sagen. „Es hängt stark davon ab, auf welchen Bereich man genau schaut“, sagt die belgische Soziologin Mieke Verloo. „Auch die skandinavischen Länder sind nicht in allen Bereichen gut, und viele Länder können auch einiges von der Türkei lernen“, so Verloo. Sie arbeitet seit zehn Jahren zeitweise auch am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien und hat das große EU-Forschungsprojekt Quing („Quality in Gender + Equality Policies“) geleitet, dessen Ergebnisse diese Woche präsentiert wurden (www.quing.eu).

In fünfjähriger Arbeit wurden die Politik zur Geschlechtergleichstellung in allen 27 EU-Ländern und in den Beitrittskandidaten Türkei und Kroatien untersucht. Zusammengearbeitet haben 63 Forscher – nicht alle waren Frauen – aus zwölf Staaten. Im Zug des Projekts wurden an die 150 Berichte verfasst, die Situation in den verschiedenen Ländern und Bereichen analysiert.

Im Fokus standen dabei nicht nur die „klassischen“ Gleichstellungsthemen, sondern insbesondere die Verknüpfung zu anderen Bereichen wie Wirtschaft oder Migrationspolitik. Vor allem das Zusammenwirken von unterschiedlichen Diskriminierungsformen wie Geschlecht, Klasse oder Nationalität stand im Zentrum des Projekts. Soziologen nennen diesen Ansatz „Intersektionalität“, aus einer reinen „Gender“- wird dadurch eine „Gender-plus“-Perspektive – was sich auch im Titel des Forschungsprojekts widerspiegelt. So haben gleichstellungspolitische Maßnahmen etwa für arme Bevölkerungsschichten andere Auswirkungen als für reichere, für Staatsbürger andere als für Migranten.

Dieser Ansatz ist viel näher an der Realität. „Oft werden mehrere Arten von Ungleichheit miteinander verknüpft“, sagt die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer, die österreichische Projektleiterin. Sauer leitet an der Universität Wien das „Gender Initiativ Kolleg“. „Praktisch alle Parteien sind für Geschlechtergleichstellung – aber manche benutzen dann genau dieses Argument, um bestimmte Gruppen, etwa Migranten, zu attackieren“, sagt sie. „Das ist paradox, ja geradezu pervers“, kommentiert Verloo.

Die Entwicklung der Geschlechtergleichstellung verlief und verläuft in Wellen. „Es gibt Fortschritte, aber immer wieder auch Rückschritte“, sagt die Projektleiterin. In Österreich wurde in der Ersten Republik etwa das Frauenwahlrecht eingeführt. Nach dem Intermezzo des Nationalsozialismus wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren die Mutterschaft zum Ideal – die Halbtagsschule ist, so merkt Sauer an, ein bis heute spürbarer Ausfluss dieser Ideologie aus dem 19. Jahrhundert. Ab Ende der 1960er-Jahre kam es zu einer frauenpolitischen „Revolution“, viele Reformen wurden aber erst in den 1990er-Jahren umgesetzt – erzwungen durch feministische Bewegungen. Dennoch hat sich in manchen Bereichen wenig bewegt, etwa beim Lohnunterschied zwischen Mann und Frau.

Auch die derzeitige Wirtschaftskrise hat einen Einfluss. Positiv sei, dass eine Debatte um den Frauenanteil in Führungsgremien angestoßen wurde – nachdem die männliche Dominanz in der Finanzwirtschaft als eine Ursache für die Krise diskutiert wurde, sagt Sauer (siehe Seite 18). Doch die negativen Folgen würden überwiegen: Verloo nennt als Beispiele, dass mehr Frauen als Männer von Jobverlust betroffen waren oder dass in vielen Ländern die Kinderbetreuung teurer geworden ist. Und: Die Krise habe extrem rechte Parteien gestärkt, was einen indirekten Effekt auf die Gleichstellung habe.

Die Kräfte, die immer wieder zu Rückschlägen führen, sind nicht so leicht festzumachen. Die katholische Kirche allein dafür verantwortlich zu machen, sei zu einfach, sagt Verloo. „In Spanien bewegt sich sehr viel, man kann Spanien z.B. nicht mit Italien vergleichen.“ So erkenne auch der Vatikan an, dass Frauen erwerbstätig sind und vor Gewalt geschützt werden müssen. Es gibt jedenfalls auch andere Kräfte, die gegen Geschlechtergleichstellung arbeiten. In den Niederlanden gibt es eine fundamentalistisch-evangelische Parlamentspartei, die Frauen per Statuten ausschließt. Auch viele rechtspopulistische Gruppierungen vertreten überkommene Geschlechterrollen. Und vielerorts stünden auch Gewerkschaften Fortschritten bei der Gleichstellung entgegenstehen, sagen Verloo und Sauer unisono.

Mieke Verloo (re) leitete das EU-Forschungsprojekt Quing, das die Gleichstellung der Geschlechter in einer umfassenden Sicht analysiert. Den Österreich-Teil leitete Birgit Sauer (l.).

Österreich schneidet im EU-Vergleich gut ab beim Gewaltschutz und der „Institutionalisierung“ (durch ein Frauenministerium). Probleme gibt es aber bei (mangelhaften) Anreizen für Frauen, erwerbstätig zu sein, oder bei „intimate citizenship“, etwa „Homo-Ehe“ oder Adoptionsrecht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2011)

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