Sheimaa will keine Angst mehr haben

Tahmina will keine Angst
Tahmina will keine Angst(c) REUTERS (ISSEI KATO)
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Am Beginn der Proteste gegen Ägyptens Präsidenten standen Jugendliche wie die 21-jährige Sheimaa. Mit dem Rückzug Mubaraks will sie sich nicht zufriedengeben – auch wenn die Stimmung gegen die Demonstranten zu kippen droht.

Sheimaa will keine Angst mehr haben – keine Paranoia, wie sie sagt. Vier Jahre lang hat sie Blogs geschrieben: über Politik und Korruption in ihrer Heimat Ägypten. Vier Jahre lang hat sie das unter einem Pseudonym getan, weil Blogger immer wieder ins Gefängnis wandern. Doch ab jetzt will sie unter ihrem richtigen Namen schreiben, will sich nicht mehr einschüchtern lassen.

In den vergangenen Tagen hat sich für die 21-jährige Studentin die Welt verändert. Sie steht selbstbewusst auf dem Tahrir-Platz und demonstriert mit Zehntausenden anderen für den Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Der Tag, an dem sich für Sheimaa die Welt zu verändern begann, war der 25. Jänner. „Dieser Tag ist der Tag der Polizei“, berichtet die junge Frau. „Wir fragten uns in unserer Facebook-Community: Warum sollen wir die Polizisten feiern? Sie arbeiten nicht für uns Bürger. Sie sind korrupt und misshandeln uns.“ Also schlossen sich Jugendliche und NGOs zusammen, um just an diesem Tag auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. „Wir sagten uns: Wenn die Jugendlichen in Tunesien das können, können wir das auch.“ Auch in Tunesien war die Protestbewegung zunächst klein, wurde aber immer größer, bis schließlich Machthaber Ben Ali aus dem Land fliehen musste.

„Wir waren 70.000“, erzählt Sheimaa. Die Polizei griff die Demonstranten an, mit Wasserwerfern, Tränengas, Schlagstöcken. Doch sie kamen wieder. Und sie wurden immer mehr. „Die Regierung behauptete, dass das Ganze von den Muslimbrüdern angezettelt wurde. Doch das stimmt nicht. Keine Partei stand zu Beginn hinter unserer Bewegung“, sagt die junge Frau. „Sehen Sie all die Frauen hier ohne Kopftuch. Hier machen alle mit: Muslime, Christen und auch Atheisten.“

Versprechen Religionsfreiheit.
Sheimaa selbst trägt ein eng anliegendes Kopftuch und ist gläubige Muslima. „Das kam nicht von meinen Eltern. Ich habe in meiner Jugend viel über den Islam gelesen.“ Sie gehöre keiner Partei an, fügt die Naturwissenschaftsstudentin hinzu. Eine Theokratie wie in Saudiarabien oder im Iran lehne sie ab. „Die Herrscher dort missbrauchen Religion für ihre eigenen Zwecke. Das ist für mich gegen das System des Islam.“ Jeder müsse die freie Wahl haben, welche Religion er ausüben will, und es müsse ihm auch freistehen, Atheist zu sein. „Das wird in einem Ägypten nach Mubarak sichergestellt sein“, beteuert Sheimaa. Sie hat über Facebook Kontakt zu vielen Jugendlichen in den USA und Europa. Sie weiß um die Sorge im Westen, in Ägypten könnten radikale Elemente die Macht übernehmen und das Land in einen islamistischen Gottesstaat verwandeln.

Die ägyptische Führung um Mubarak hat in der Vergangenheit immer wieder mit dieser Angst gespielt. Seit jeher ging sie mit aller Härte gegen islamistische Gruppen vor und war stets verlässlicher Verbündeter der USA im sogenannten „Krieg gegen den Terror“. Für die Regierung in Washington war es deshalb nicht ganz einfach, zur Revolte in Ägypten Position zu beziehen. Es dauerte einige Zeit, bis Washington öffentlich Kritik an Mubarak übte.

»Bezahlt von Israel«. Ägyptens Regierung ihrerseits hat den Ton gegenüber dem Westen und „dem Ausland“ klar verschärft – zumindest in der innerägyptischen Diskussion. Das Regime versucht im Staats-TV, die Protestbewegung als Komplott „externer Mächte“ darzustellen. „Sie behaupten, wir werden von Israel und dem Iran bezahlt – und zwar von beiden gleichzeitig“, meint Sheimaa und schmunzelt.

Dass die ägyptische Führung zu diesen „externen Mächten“ auch die USA und einige europäische Staaten zählt, liegt auf der Hand. Man sei zum Dialog mit den Demonstranten bereit. „Wir werden aber keine Opposition aus dem Ausland akzeptieren“, donnerte Außenminister Ahmed Abul Gheit nun in einem Fernsehinterview.

Er spielte damit auf die internationale Kritik gegen Präsident Mubarak und das brutale Vorgehen gegen die Protestbewegung an. Diese Abwehr der „Einmischung von außen“ folgt offenbar vor allem einem innenpolitischen Kalkül. Damit soll die Wut der Bevölkerung auf die korrupte Führung umgelenkt werden auf das „feindliche Ausland“ und dessen „Helfer“ in Ägypten: die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz. Die internationalen Journalisten spielen in diesem Konstrukt die Rolle der „Agenten“, die im Auftrag der externen Mächte die Demonstranten unterstützen und ein negatives Bild von Ägypten zeichnen, um dem Land zu schaden.

Die Ablenkungstaktik scheint Erfolg zu haben. Immer mehr Ägypter machen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz für die Misere des Landes verantwortlich. „Präsident Mubarak hat doch angeboten, bei den nächsten Präsidentenwahlen nicht mehr anzutreten. Die Leute sollten Tahrir verlassen und nach Hause gehen“, meint etwa Yussuf. Das allgemeine Chaos habe Ägyptens Wirtschaft schon zu viel geschadet. „Alle Touristen sind weg. Und seit mehr als einer Woche haben die Banken und viele Geschäfte geschlossen. Es wird immer schwieriger, Lebensmittel zu finden.“


Geschickte Propaganda. Auch die 21-jährige Sheimaa sorgt sich, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung drehen könnte. „Das Regime versucht sehr geschickt, die öffentliche Meinung wieder auf seine Seite zu ziehen“, erzählt sie. „Studentenkollegen und sogar deren Eltern haben mich angerufen und geklagt: Ihr seid schuld an der Zerstörung des Landes.“

Aufgeben will Sheimaa trotzdem nicht. Sie will weiter protestieren, bis Präsident Mubarak zurücktritt. Denn ihre Angst hat sie längst abgelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2011)

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