Bettelverbot: Verstoß gegen Menschenrechte?

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Die SP/VP-Koalition wird das geltende steirische Bettelverbot weiter verschärfen. Kritiker kündigen Klagen beim Verfassungsgerichtshof an.

Graz. Es sind sarkastisch angehauchte Querverweise auf brisante Terminkollisionen: Gestern vor zehn Jahren hat sich Graz zur Menschenrechtsstadt erklärt und damit zur Umsetzung des international anerkannten menschenrechtlichen Kanons verpflichtet. Und am 21. März wird das Land Steiermark seinen diesjährigen Menschenrechtspreis verleihen.

Das alles, wenden Kritiker ein, passe nicht zu einem Antrag, mit dem am Mittwoch in einem Unterausschuss des Landtags die Verschärfung des Bettelverbots vorbereitet wird, die am 22.März im steirischen Landesparlament beschlossen werden soll. Auf eine entsprechende Novelle haben sich zumindest SPÖ und ÖVP im Vorfeld geeinigt. Demzufolge soll das bereits geltende Verbot für aggressives Betteln (Strafe: bis 2000 Euro) und Betteln mit Kindern zu einem allgemeinen Bettelverbot aufgerüstet werden – allerdings mit der Option, dass die Gemeinden in Zukunft selbst entscheiden können, ob sie per Verordnung „für bestimmte Örtlichkeiten und bestimmte Zeiten“ Betteln erlauben.

„Das wird keine einzige Gemeinde tun“, glaubt der Grazer Verwaltungsrechtsexperte Christian Brünner. Der Expolitiker (VP, LIF) hält das geplante Gesetz grundsätzlich für nicht menschenrechtskonform, weil es das Grundrecht auf Privatleben verletze.

Verbot schon einmal gescheitert

Gegen die geplante Verschärfung wehrt sich auch KPÖ-Klubobfrau Claudia Klimt-Weithaler, da damit nur systematisch eine kleine Gruppe kriminalisiert und zum Sündenbock gemacht wird: „Armut schafft man aber nicht ab, indem man Betteln verbietet.“ „Wir werden all jene Initiativen unterstützen, die das Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten“, kündigt die Grazer Vizebürgermeisterin, Lisa Rücker (Grüne), an. Der VfGH hat bereits einmal ein Bettelverbot im oststeirischen Fürstenfeld aufgehoben.

Initiator der Klage war damals der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher, der seit Jahren zentrale Anlaufstelle für die Bettler aus der Südostslowakei ist. Via Internet mobilisiert er auch jetzt (www.vinzi.at/petition). Parallel sammelt die Arge Jugend gegen Gewalt und Rassismus Unterstützungserklärungen für ihr Memorandum (www.argejugend.at), das an die SP/VP-Spitzen adressiert ist.

Aber auch die Grazer Kollegen der SP/VP-Koalition im Land zeigen sich reserviert. Der designierte SP-Chef Edmund Müller plädiert vage „für Menschlichkeit“ (siehe Interview rechts). VP-Bürgermeister Siegfried Nagl wollte ein Bettelverbot ursprünglich zum Thema einer Volksbefragung machen, mit der jetzt möglichen Ausweisung von Bettelzonen ist er jedenfalls nicht glücklich. „Straßenweise wird es so etwas sicher nicht geben“, heißt es aus seinem Büro. Falls aber beispielsweise Kirchen vor ihren Gotteshäusern Betteln ermöglichen wollen, wird man „darüber reden“.

Nagl bleibt aber skeptisch, was die Freiwilligkeit angeht, mit der die Bettler ihrer Tätigkeit nachgehen. Man müsse sich fragen, „ob es ein Menschenrecht auf Selbsterniedrigung gibt“. Zwar sei – wie von der Polizei bestätigt – keine Kriminalität festzustellen, sehr wohl aber eine organisierte Form des Bettelns.

Weitere Verbote in Vorbereitung

Das wird auch in einem aktuellen Forschungsprojekt des Instituts für Geschichte der Uni Graz bestätigt. Allerdings relativiert man, dass es sich nur um eine Koordinierung der gemeinsamen An- und Abreise und Verpflegung handle. „Diese Kontakte werden häufig falsch als ,Bandenstruktur‘ gedeutet“, heißt es in einem Zwischenbericht. Es gebe aber gegenwärtig „keinerlei Hinweise auf eine gesetzeswidrige oder moralisch bedenkliche Organisation oder Ausbeutung der Bettler“. Fazit der Wissenschaftler: Betteln verhindert eine Verschlimmerung der ökonomischen und sozialen Situation der Betroffenen.

Indes werden auch in Kärnten und Oberösterreich Verbote für organisiertes beziehungsweise aggressives Betteln vorbereitet.

Auf einen Blick

Bettelverbot. In der Steiermark soll das geltende Bettelverbot verschärft werden – allerdings mit der Option für die Gemeinden, „Bettelzonen“ auszuweisen. In Oberösterreich und Kärnten steht ein Verbot für organisiertes bzw. aggressives Betteln und Betteln mit Kindern kurz vor der Umsetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2011)

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