Bettlerin klagt in Wien

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Die Frau sieht sich in der Freiheit der Erwerbstätigkeit bedroht. Ein Urteil soll im Frühling kommen. Seit Juni ist aggressives und organisiertes Betteln oder Betteln mit Minderjährigen verboten.

Wien/Ks. Während in Graz eine Verschärfung des Bettelverbots diskutiert wird, wurde diese in Wien bereits im Sommer des Vorjahres – ein paar Monate vor der Wien-Wahl – durchgeführt. Seit Juni ist in der Bundeshauptstadt nicht nur aggressives und organisiertes Betteln oder Betteln mit Minderjährigen verboten. Auch das gewerbsmäßige Betteln ist nun nicht mehr erlaubt.

Genau dieser Punkt veranlasste die Bettlerin Martina S., eine Klage beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Die Entscheidung soll im Frühling vorliegen. Unterstützt wird S. dabei von den Wiener Grünen. „Das kommt einem generellen Bettelverbot gleich. Sobald nachgewiesen wird, dass das Lebenseinkommen vom Betteln abhängig ist, ist es ein Gewerbe. Also kann man sagen, dass jeder, der bettelt, gewerbsmäßig bettelt“, sagt Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen. Hebein ist davon überzeugt, dass das Bettelverbot nicht – wie oft angeführt – organisierte Banden trifft, sondern immer nur Einzelschicksale. Und diese würden durch das Verbot oft mit Strafen zwischen 70 und 400 Euro zusätzlich belastet.

Die Verfassungsklage der Bettlerin S. wird in erster Linie mit der Freiheit der Erwerbstätigkeit (Art. 6 Staatsgrundgesetz) und der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes begründet. Hoffnung gibt den Grünen, die die Klage unterstützen, der deutsche Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Er hat festgehalten, dass Betteln eine gesellschaftliche Erscheinung ist, die hinzunehmen ist, solange die öffentliche Ordnung nicht gestört werde. Das sei nur bei aggressivem Betteln der Fall. Hebein sieht in der Diskussion um gewerbsmäßiges Betteln eine „Diskussion über den Anblick von Armut, den man nicht erträgt“.

877 Bettel-Anzeigen in Wien

Die Polizei kontrolliert bei regelmäßigen Schwerpunktaktionen, ob das Bettelverbot eingehalten wird. Im Jahr 2009 gab es insgesamt 877 Anzeigen wegen Bettelei in Wien. Vor allem das im Jahr 2008 eingeführte Bettelverbot mit Kindern dürfte Wirkung gezeigt haben. Im Jahr 2009 gab es 451 Anzeigen wegen aggressiver Bettelei, 387 wegen allgemeiner Bettelei und nur 39 Anzeigen wegen Bettelns mit Kindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2011)

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