Berlinale-Eröffnung: Festivalstart mit mythischem Helden

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Die 61.Internationalen Filmfestspiele beginnen mit „True Grit“, einem Western-Remake der Coen-Brüder: Jeff Bridges reitet auf den Spuren von John Wayne.

Zur Eröffnung der 61.Internationalen Filmfestspiele Berlin am Donnerstagabend kann man eine Liebeserklärung an Augenklappen abgeben. Einige der größten Hollywood-Regisseure arbeiteten einäugig, darunter John Ford und Raoul Walsh. Zu ihren ohnehin schon legendären Persönlichkeiten gesellte sich ein mythisches Aroma: Augenklappenträger werden schnell zu Ikonen, empfehlen sich als uneitle Exzentriker, als Männer, die sich von einer kleinen Sehbehinderung auf ihrem Weg gen Legende nicht ausbremsen lassen. Auch John Wayne, der „Duke“, trug ein schwarzes Stoffstück über seinem linken Auge, als er 1969 in die Rolle des alternden Marshals Rooster Cogburn schlüpfte. In True Grit begleitete er eine 14-Jährige ins Indianerland, um den Mörder ihres Vaters zu stellen. Henry Hathaways in atemberaubenden Naturpanoramen badender Spätwestern lebte von den feinen Nuancen, die zwischen den mit alttestamentarischer Absolutheit ausgelebten Rache- und Gnadefantasien aufblühten.

Der Dude wird der neue Duke

Die Neufassung von True Grit, die morgen die Berlinale eröffnet und am 25.Februar in Österreichs Kinos anläuft, bietet statt des merklich vergehenden, aber umso schöneren John Wayne Jeff Bridges: Auch er ein Schauspieler jenseits der 60, erst untergegangen, später verehrt und ausgezeichnet. Mit der lakonischen Darstellung des Dude in The Big Lebowski von den Coen-Brüdern spielte sich Bridges 1998 in den Popikonenhimmel. Jetzt wird aus dem Dude der neue Duke: Im ebenfalls von Ethan und Joel Coen verfertigten True Grit-Remake wankt und reitet Bridges als vom Leben und seinen Taten gezeichneter Rooster Cogburn. Ein Haufen Mann, umgeben von einer Aura der Unbesiegbarkeit. Als Marshal jagt er seiner mythischen Persönlichkeit fast ebenso gnadenlos hinterher wie den Gaunern auf den Steckbriefen.

Die Coens wissen, was sie an dieser Figur haben, und auch, was sie ihr schulden: Bridges legt den Westernhelden als Fusion seiner ikonischen Leinwandfiguren an. Er ist massiv und zerbrechlich zugleich, während er griffige Dialogzeilen durch den bärtigen Mund presst. Die Regisseure rahmen ihn in klassischen Genre-Bildern: die ewigen Hügel, Bäche und Wiesen als Showbühne für diesen Letzten seiner Art, der sich weigert anzuerkennen, wie sich die Welt um ihn verändert. Sein Gegenstück und gleichzeitig sein Alter Ego ist die 14-jährige Mattie Ross (Hailee Steinfeld, wie Bridges für den Oscar nominiert), eine der enigmatischsten Kreationen des Autors Charles Portis, der die Romanvorlage „True Grit“ schrieb.

Durch die Coen-Version wirbelt Mattie als tief religiöses Mädchen, umwabert von Variationen der Mitsumm-Hymne „Leaning on the Everlasting Arms“: Nach dem Mord an ihrem Vater ist sie fest entschlossen, den Täter zu stellen. Sie zeigt furioses Handelsgeschick und heuert dann den alten Haudegen Cogburn an, mit ihr ins Indianerland zu reiten, um den Mörder (herrlich gemein: Josh Brolin) dingfest zu machen. Zu ihnen gesellt sich der ehrbare, aber tölpelhafte Texas Ranger LaBoeuf (irritierend gegen den Strich besetzt: Matt Damon). Mattie strahlt mit Haarzopf und Hut protestantische Strenge aus. Die Männer belächeln sie erst, ihr wird sogar der Hintern versohlt. Im Lauf der Handlung kommt sie dem unbezähmbaren Cogburn immer näher. Letztlich bleibt, wie im Roman, die Frage offen, auf wen sich der Titel True Grit bezieht: Wer hat mehr Schneid – die Pubertierende oder der Alternde?

Die Coens drosseln ihre Ironie

Die Coen-Brüder haben ihre erstaunliche Karriere auf dem Fundament des klassischen Hollywood errichtet, sie hantieren mit Verweisen auf die Kinohistorie, sei es der Film noir in ihrem Debüt Blood Simple oder die Screwball-Comedy in Intolerable Cruelty. Die ironische Distanz, Kaltblütigkeit und Unnahbarkeit, die das Werk der Brüder kennzeichnen, haben sie für ihre Neubearbeitung des John-Wayne-Klassikers auf ein Mindestmaß heruntergedrosselt: Zwar geben sie einem immer noch zu verstehen, dass sie weniger einen Western als einen Western über einen Western drehen, aber sie sprengen die klassische Abenteurer-Odyssee nicht mit unnötigen postklassischen Schmähs auf.

Gerade aber in den Figuren zerbricht viel vom altmodischen Charme, den die Bilder von Kameramann Roger Deakins und die Musik von Carter Burwell versprühen: Zwar sitzt Jeff Bridges' Charakter so fest im Sattel wie seine Augenklappe auf dem Kopf, die jugendliche Mattie verbleibt mit ihrer Bestimmtheit und Härte allerdings immerzu im Konzeptstadium und mag nicht zum Menschen werden. So bleibt trotz eines überlegenen letzten Akts und eines melancholischen Epilogs kein Gefühl übrig: weder für die Figuren, noch für ihre Reisen im Film, die emotionalen wie die geografischen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2011)

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