Irans Mullahs und das ägyptische Virus

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Das Regime in Teheran lobt den Mut der Demonstranten in Kairo. Und beweist zugleich erneut, dass es mit Freiheit und Gerechtigkeit so gar nichts am Hut hat.

Leitartikel

Mahmoud Ahmadinejad war wieder einmal in seinem Element: „Bald wird es einen neuen Nahen Osten geben, in dem kein Platz mehr für arrogante Mächte ist“, jubelte Irans Präsident mit einem Seitenhieb auf die USA und Israel. Ja, er fantasierte sogar davon, dass die Machtwechsel in Ägypten und Tunesien der Anfang einer islamischen „Weltrevolution“ seien.

Ahmadinejad und andere Vertreter des Teheraner Regimes schwärmen geradezu vom Mut der ägyptischen Demonstranten, die am Tahrir-Platz in Kairo allen Attacken des Mubarak-Polizeistaates getrotzt haben. Mit Blumen und Schulterklopfen hätten Irans Machthaber deshalb die tausenden Menschen begrüßen müssen, die soeben in Teheran und anderen iranischen Städten Sympathiekundgebungen für die Revolutionäre in Ägypten abgehalten haben. Doch statt Blumen flogen Tränengasgranaten. Und statt freundlichen Schulterklopfens setzte es Prügelorgien mit Schlagstöcken.

Irans Regime spuckt große Töne, will die Umstürze in Tunesien und Ägypten für seine eigenen außenpolitischen Interessen instrumentalisieren. Doch in Wahrheit zittert es vor dem nordafrikanischen Revolutionsvirus. Es fürchtet, dass auch Irans Jugend erneut in Massen auf die Straße geht, um dasselbe zu fordern wie die Aktivisten in Kairo und Tunis: das Ende eines korrupten und brutalen Systems.

Doch Ängste gibt es auch anderswo: Ängste davor, dass sich das ägyptische Virus als iranisches Virus entpuppen könnte. Das Szenario: In Kairo könnten nach dem Fall von Autokrat Mubarak Islamisten die Macht übernehmen und eine Art „Gottesstaat“ errichten – ähnlich, wie das nach der Revolution im Iran 1979 geschah. Damals stürzte eine anfangs breite Oppositionsfront den autoritär herrschenden Schah. Doch später setzte sich die Fraktion um die Mullahs durch. Sie rechneten mit ihren einstigen Mitrevolutionären brutal ab und errichteten eine schiitische Theokratie – das heutige Herrschaftssystem im Iran.

Dieses Szenario scheint für Ägypten derzeit nur eine Schreckensvision zu sein, denn die Ausgangslage ist anders. Ägyptens sunnitische Moslembrüder vertreten radikale Ideen. Sie sind politisch aber nicht in derselben Position wie Irans Mullahs und ihre Revolutionsgardisten 1979 und in den Jahren danach. Die Moslembrüder selbst beteuern, dass sie keine Theokratie anstreben. Ob das so bleibt, wird man abwarten müssen.

Ebenso, wie gut sie tatsächlich bei freien und fairen Wahlen abschneiden werden. Denn die Moslembrüder zogen ihre bisherige Stärke auch daraus, dass das Regime von Hosni Mubarak anderen Oppositionsgruppen kaum einen Spielraum ließ. Die Moslembrüder konnten sich über die Moscheen organisieren. Und sie waren genau die Art von Opposition, die sich Mubarak für sein Spiel mit dem Westen wünschte – eine Opposition, die in Washington und den europäischen Hauptstädten lange mehr Kopfzerbrechen bereitete als die Polizeistaatmethoden des Regimes.

Jetzt werden die Karten in Kairo neu gemischt, und auch andere liberale Parteien erhalten ihre Chance. Das ändert nichts daran, dass die Moslembrüder eine Rolle spielen werden. Wie diese Rolle aussieht, hängt aber auch von Ägyptens künftiger Verfassung ab. Darin müssen rote Linien gezogen werden, muss klargestellt werden, dass Ägypten ein demokratischer Rechtsstaat ist, in dem Religionsfreiheit gilt. Solange sich jede Partei innerhalb dieser roten Linien bewegt, sollte sie kein größeres Problem darstellen – selbst Gruppen wie die Moslembrüder.

Es war der Ruf nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit, der so viele Demonstranten auf den Tahrir-Platz ziehen ließ. Und deshalb sollte ihr Experiment eines neuen Ägypten anders verlaufen als das iranische Experiment. Denn das iranische Experiment hat ihnen und der ganzen Region gezeigt, dass es bei ihm nicht um mehr Gerechtigkeit und Freiheit ging. Man muss blind und taub sein, um zu glauben, das Regime in Teheran gehöre zu den „fortschrittlichen“ Kräften, die gegen Korruption und Gewaltherrschaft kämpfen. Das Gegenteil ist der Fall. Und das beweist es nun aufs Neue. BERICHTE Seiten 1 bis 3

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2011)

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