„Europäische Staaten sind keine Kolonialmächte mehr“

(c) Teresa Zoetl
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Der britische Europaminister Lidington fordert mehr Effizienz der EU in Nordafrika und spricht über die „natürlichen Grenzen“ einer europäischen Außenpolitik.

Die Presse: Europas Zukunft, schrieb der Historiker Timothy Garton Ash, stehe 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz ebenso auf dem Spiel wie 1989 auf dem Prager Wenzelsplatz. Man hat nicht den Eindruck, dass Europa sehr präsent war und ist.

David Lidington: Europäische Staaten sind keine Kolonialmächte mehr. Es ist nicht unsere Aufgabe vorzugeben, wer Präsident oder Premier sein soll. Außerdem unterscheiden sich die nordafrikanischen Länder sehr untereinander. Es wäre daher falsch, einen „Entwurf“ zu haben, den man über all diese Staaten legt. Selbstverständlich gilt aber: Die Menschen dort haben das Recht, ihre Regierungen selbst zu bestimmen.

Aber liegt es nicht in Europas Interesse, eine aktive Rolle zu spielen?

Natürlich. Wie wichtig die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Staaten für uns ist, zeigen derzeit die Flüchtlingsströme aus Tunesien. Eine Kooperation ist nötig, um Drogen-, Menschenhandel und den Terrorismus zu bekämpfen. Eine Stabilisierung der Region kommt auch uns zugute. Stabilität ist nur möglich, wenn das Volk die Regierungen bestimmt.

Was sollte Europa also tun?

Das Wichtigste ist, diesen Ländern zu helfen, Reformen auf den Weg zu bringen. Ihre Wirtschaft so zu stimulieren, dass sie anhaltenden Wohlstand produziert. Noch einmal: All diese Länder sind unterschiedlich. Manche haben Öl- und Gasvorkommen, andere nicht. Weit verbreitet sind aber staatlicher Wirtschaftsdirigismus und Korruption, das gilt auch für verhältnismäßig „moderne“ Volkswirtschaften wie Ägypten. Wirtschaftliche Reformen müssen aber Hand in Hand mit politischen Reformen gehen: Ein Rechtsstaat zieht Investoren an – und führt zur prosperierenden Wirtschaft. Eine Regierung, die vom Volk legitimiert wird, kann Strukturreformen einfacher durchsetzen.

Und welche Schritte sollte die EU da konkret setzen, wenn sie sich nicht zu stark einmischen soll?

Wir haben ja die Instrumente schon längst. Ich denke da an Assoziierungsabkommen mit einzelnen Ländern oder an die Mittelmeerunion. Ich bin allerdings alles andere als überzeugt, dass diese wirklich effizient eingesetzt werden. Wir sollten uns jetzt zusammensetzen und neu überlegen, wie wir diese riesengroße Geldmenge unserer Steuerzahler besser investieren.

Man hat nicht den Eindruck, dass der Wille zu einer gemeinsamen EU-Außenpolitik groß ist.

Es stimmt schon, wir EU-Regierungen müssen uns enger vernetzen, wenn es um Nordafrika geht. Wir müssen mehr Informationen austauschen, effizienter kooperieren. Ich habe keinen Zweifel, dass dies gelingen wird. Das hat bereits in anderen Weltgegenden gut funktioniert – bei den Iran-Sanktionen etwa, oder in Serbien und im Kosovo.

Gibt es dafür nicht die EU-„Außenministerin“?

Die EU-Außenpolitik ist in erster Linie intergouvernemental. Die Hohe Repräsentantin braucht ein Mandat der EU-Regierungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Ereignisse im Nahost sehr schnell passiert sind. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn Cathy Ashton sofort eine Position ergriffen hätte, die nicht allen EU-Staaten entsprach.

Dafür ist jetzt unklar, was ihre Aufgabe ist: Die EU-Position zu Ägypten wurde von großen EU-Staaten formuliert, in Ägypten wurde Ashton nicht einmal empfangen.

Man darf nicht vergessen, dass Cathy Ashton erst vor 18 Monaten ihr Amt angetreten hat. Sie hatte nicht einmal ein „Außenministerium“. Bis jetzt war sie damit beschäftigt, diesen Apparat aufzubauen.

Sollte ihr Mandat also limitiert werden?

Außenpolitik ist Sache der EU-Staaten. Eine Vergemeinschaftung würden wir Briten nie akzeptieren. Der EU-Außendienst sollte sich auf kommerzielle Beziehungen mit Partnern wie China und den USA konzentrieren, auf Nachbarschaftsregionen und Konfliktprävention.

Apropos Nachbarschaftsbeziehungen. Es mehren sich in Europa die Stimmen, die nach dem Beitritt Kroatiens eine Erweiterungspause wünschen.

Das wäre ein enormer Fehler. Die Erweiterung ist die wichtigste Errungenschaft der EU. Die Perspektive eines Beitrittes war und ist der Motor für demokratische und wirtschaftliche Reformen. Auf Kroatien sollen Serbien, der Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Bosnien folgen. Auch für die Länder der östlichen Nachbarschaftspolitik sollte gelten: Wenn ihr zur EU wollt, dann solltet ihr entsprechende Schritte setzen.

Finden Sie die strikte Anti-Türkei-Haltung der österreichischen Regierung kontraproduktiv?

Wir haben da unterschiedliche Meinungen. Natürlich muss die Türkei erst die Kriterien erfüllen, um EU-Mitglied zu werden. Selbstverständlich wird es ein langwieriger Prozess. Von einem Beitritt würde Europa wirtschaftlich profitieren, aus der regionalen Hegemonie der Türkei könnte Europa politisches Kapital ziehen. Vor allem: Da ist ein islamisches Land, das sich mit Europa identifiziert. Was ist Ihnen lieber: dass junge Araber Premier Erdoğan oder Irans Präsidenten Ahmadinejad als Vorbild ansehen?

Zur Person

David Lidington ist neuer Europaminister der konservativ-liberalen britischen Regierung von David Cameron. Der 54-jährige Tory-Politiker arbeitete bereits vor 20 Jahren für den damaligen europafreundlichen Außenminister Douglas Hurd. Lidington gilt nicht gerade als EU-Enthusiast, wird aber auch in Brüssel für seine profunde Kenntnis der EU-Politik und der europäischen Geschichte geschätzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. Februar 2011)

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