Datenspeicher für alle Bürger kommt

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Unter dem Titel "Vorratsdatenspeicherung", erfasst die Republik künftig das gesamte Kommunikationsverhalten ihrer Bürger: Was die Technik kann und welche Gefahren sie birgt.

Wien. Die lückenlose Speicherung aller Kommunikationsdaten in Österreich wird kommen. Daran ändert auch ein Streit über Details in der Regierung nichts (siehe Bericht unten). „Die Presse“ fasst zusammen, was der sperrige Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ für die Benutzer von Telefon, Handy und Internet wirklich bedeutet.

1. Welche Art von Kommunikationsdaten landen auf Festplatte?

Stark vereinfacht wird in naher Zukunft systematisch vermerkt, wer zu welchem Zeitpunkt von wo aus mit wem Kontakt hatte. Techniker nennen diese Art von Daten Verkehrs- oder Verbindungsdaten. Darunter fällt zum Beispiel die Nummer eines Anschlusses, von dem aus telefoniert wurde. Die Nummer ist fast immer (Ausnahme: Wertkartenhandy) einer Person zuzuordnen. Gleiches gilt auch für E-Mails und sogenannte IP-Adressen, die (vermeintlich anonym) surfende User im Internet identifizieren (solche Adressen sind durch Punkte getrennte Zahlenkolonnen, die Website der „Presse“ ist also nicht nur unter www.diepresse.com, sondern auch unter 194.232.102.3 erreichbar). Gespeichert werden die Daten nicht aufgrund eines konkreten Anlasses (etwa bei Ermittlungen gegen jemanden, der der Planung eines Terroranschlages verdächtigt wird), sondern auf Vorrat (daher Vorratsdatenspeicherung). Betroffen ist jeder, der elektronische Kommunikationseinrichtungen nutzt.

2. Was ändert sich im Vergleich zur jetzigen Regelung?

Oberflächlich betrachtet nicht viel. Im Detail bringt das neue Gesetz jedoch mehr Rechtssicherheit für die Überwachten und die Überwacher. Schon jetzt dürfen (bzw. müssen) Telefon-, Mobilfunk- und Festnetzbetreiber Verkehrsdaten speichern – etwa zum Erstellen einer detaillierten Rechnung. Das Gesetz erlaubt, die Daten „so lange wie nötig“ aufzubewahren. Faktisch kommt die Formulierung einem Freibrief gleich, den die Polizei weidlich ausnützt. Insbesondere die Halter von IP-Adressen wurden in großem Umfang, ohne richterliche Kontrolle und bis weit in die Vergangenheit reichend ausgeforscht.

Das neue Gesetz beschränkt die Speicherdauer dieser Daten auf sechs Monate. Die Analyse einer IP-Adresse soll nur noch nach Kontrolle seitens des Staatsanwaltes und eines Rechtsschutzbeauftragen erlaubt sein. Für die Verbindungsdaten einer Telefonnummer braucht es einen richterlichen Beschluss. Anders als jetzt sind Provider künftig dazu verpflichtet, Zugriffe auf diese Datenbestände zu protokollieren und mit normierten Sicherheitssystem zu versehen. Die Datenschutzkommission kontrolliert das.

3. Darf die Polizei künftig deshalb meine E-Mails lesen?

Nein. Oder besser gesagt: nicht unter dem Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Für den Text eines E-Mails oder den Inhalt eines Gesprächs gelten sehr strenge Schutzbestimmungen (Telekommunikationsgeheimnis). Derartige Überwachungen ordnet ein Richter jedoch nur im Einzelfall und bei sehr schweren Delikten und/oder Verdachtsmomenten an. Kritiker der Speicherung auf Vorrat bemängeln aber, dass sich auch auf Basis der weniger streng geschützten Verkehrsdaten Rückschlüsse auf deren Inhalt ziehen ließen. Etwa dann, wenn ein Überwachter regelmäßig mit einer bestimmten politischen Gruppierung oder einem auf HIV-Infektionen spezialisierten Arzt telefoniert. In beiden Fällen wären schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletzt (politische Orientierung, Gesundheit). Ebenfalls möglich ist die Analyse des Kommunikationsverhaltens einer Person. Damit kann das komplette soziale Netzwerk des Betroffenen offengelegt werden, die Methode eignet sich zur Erstellung von Täterprofilen.

4. Wer will die Vorratsdatenspeicherung überhaupt?

Ihren Ursprung hat die Idee in einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006, die auf den Terroranschlägen von New York und Washington (2001) sowie Madrid (2004) basiert. Brüssel verpflichtete seine Mitgliedsländer, zur Abwehr von Anschlägen und schweren Verbrechen Kommunikationsdaten zwischen sechs und 24 Monate lang zu speichern. Die Frist lief 2007 aus. Österreich ist bis heute säumig. Grund für die Verzögerung ist nicht das gesteigerte Interesse der Bundesregierung an Bürgerrechten. Dem heutigen Bundeskanzler und damaligen Verkehrsminister Werner Faymann war die Richtlinie einfach kein Anliegen. Das Projekt blieb lange liegen, ehe seine Nachfolgerin Doris Bures das Wiener Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs beauftragte. Dieser Entwurf kreist seit über einem Jahr in der Warteschleife. Dieses Mal waren politische Streitereien Anlass zur Verzögerung (siehe Artikel unten).

5. Kann man der Datenspeicherung eigentlich entkommen?

Der Speicherung nicht, der Ausforschung schon. Gerade in Städten gibt es tausende nicht gesicherte Drahtlos-Netzwerke, über die sich jeder ins Internet einloggen kann. Zum Beispiel zur Planung einer Straftat. Damit fiele der Verdacht nicht auf den eigentlichen Täter, sondern auf einen Unschuldigen, der nur zu leichtfertig mit seiner Netzinfrastruktur umgeht. Auch freie WLAN-Hotspots in Gaststätten oder anonyme Wertkartenhandys eigenen sich zur Verschleierung der Kommunikation. Vorausgesetzt, man lässt sich dabei nicht von Überwachungskameras filmen und schaltet das Mobiltelefon (Stichwort Handyortung) in der Umgebung der eigenen Wohnung immer aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2011)

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