Werner Herzog träumt 3D-Kino als Höhlenmalerei

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Originelle dreidimensionale Filme von Herzog, Wenders und Ocelot. Cave of Cave of Forgotten Dreams, „Höhle der vergessenen Träume“, heißt Herzogs Dokumentation über das Chauvet-Höhlensystem.

Ein enger Metallsteig führt tief hinein in die Höhle: Unten schimmert das Kalzit, Stalaktiten und Stalagmiten wachsen aufeinander zu, verweilen in außerirdisch anmutenden Formen. Der Lichtkegel der Taschenlampen erhellt die Wände: Pferde sind darauf zu sehen, gezeichnet mit Kohle vor über 30.000 Jahren. Ihre Umrisse suggerieren eine Bewegung. Eine Ursuppe des Films sind diese Höhlenmalereien für Regisseur Werner Herzog: Als Erster erhielt er, nachdem er sich von der französischen Regierung für die symbolische Summe von einem Euro hatte anstellen lassen, mit einer Filmcrew Zugang in das erst 1994 entdeckte Chauvet-Höhlensystem im französischen Département Ardèche.

Cave of Forgotten Dreams, „Höhle der vergessenen Träume“, heißt Herzogs Dokumentation dieser Begehung und Begegnung, die bei der Berlinale Europapremiere hatte: Mit der 3-D-Kamera begreift der bayerische Meisterregisseur die ältesten überlieferten Höhlenmalereien als Zeittunnel in die Vergangenheit des Menschen, hin zu den Ursprüngen der darstellenden Kunst. Die Hochtechnologie des 3-D-Kinos ist für Herzog nur eine andere Form dieser altsteinzeitlichen Bilder: Noch immer sollen damit Erinnerungen und Träume ausgedrückt, für spätere Generationen konserviert werden.

Gemalte Brüste und „Baywatch“

Herzogs Film kennt allerdings keine pädagogisch wertvolle Bedeutungsschwere. Die unkonventionelle, teils irrlichternde Inszenierung verknüpft figurative Darstellungen von großen Frauenbrüsten mit dem neuzeitlichen Erfolg der Fernsehserie „Baywatch“, lässt einen experimentellen Archäologen auf der Knochenflöte „Star-Spangled Banner“ spielen und begleitet den ehemaligen Vorsitzenden der französischen Parfümeurvereinigung beim Erriechen noch unentdeckter Höhlensysteme.

Die Malereien bäumen sich in den Bildern von Kameramann Peter Zeitlinger vor einem auf, dazu lässt Herzog-Stammkomponist Ernst Reijseger primitiv-mystische Klänge über die Tonspur donnern: Das Resultat ist eine transzendentale Reise hin zum Kern der Kunst und damit des Menschen, ein leichtfüßiger Brückenbau von der Vergangenheit in die Gegenwart. Cave of Forgotten Dreams ist Herzogs erster 3-D-Film: Wie Kinder nehmen sich Regisseur und Kameramann der Technik an, stellen die Bilder auf den Kopf, surren zwischen Beinen hindurch, arretieren die Kamera gar auf einem ferngesteuerten Fluggerät und lassen sie über die Landschaft fliegen. Spätestens damit ist klar: Das 3-D-Kino hockt nicht mehr im Blockbuster-Ghetto, sondern animiert auch eigenbrötlerische Visionäre wie Herzog zu neuen Kompositionen.

Auf der Berlinale surft man durch die Dimensionen des Kinos: Wim Wenders' 3-D-Eloge Pina auf die im Vorjahr verstorbene Tanzkunstlegende Pina Bausch lief wie Herzogs Film außer Konkurrenz, der französische 3-D-Animationsfilm Les contes de la nuit von Michel Ocelot hat aber Chancen auf den Goldenen Bären. Seine Kompilation von sechs Märchen aus aller Welt ist mit Scherenschnitten vor bunten Hintergründen visualisiert, durch meisterhafte Animationen und perfektes Sound-Design belebt. Dabei beschränkt sich die 3-D-Technik auf räumliche Trennung von Vorder- und Hintergrund: Ocelot verzichtet bei der altmodischen Märchenstunde auf klumpige Effekthaschereien, nur einige Feenfunken fliegen durch den imaginären Raum.

Bilder von Höhlenlöwen

Diese Reduktion in Form und Details, das Spiel mit Licht und Schatten erinnert nicht von ungefähr an die Höhlenmalereien von Ardèche, wo jahrtausendealte Bilder von Höhlenlöwen, Nashörnern und anderen Tieren damals wie heute lediglich von punktuellen Lichtquellen, ob Taschenlampen oder Fackeln, erhellt werden. Sie werfen auch die Schatten der Betrachter auf die Wände und bringen alles zum Tanzen. Eventuell ist das 3-D-Kino wirklich nichts anderes als die bestmögliche Höhlenmalerei der Gegenwart, ein Instrument, um Träume und Erinnerungen so verlustfrei wie möglich festzuhalten. Eines bleibt dabei natürlich unabdingbar, egal ob Steinzeit- oder Gegenwartsmensch: künstlerisches Talent.

Auf einen Blick

Die 61. Berlinale dauert bis 20.Februar, Samstagabend wird der Goldene Bär vergeben. Im Wettbewerb gibt es bisher aber keine Favoriten: Interesse weckten eher die außer Konkurrenz gezeigten 3-D-Filme von Wim Wenders und Werner Herzog. Auch außer Konkurrenz läuft der Austro-Beitrag „Mein bester Feind“ von Wolfgang Murnberger, der heute, Mittwoch, seine Weltpremiere feiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2011)

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