„Mein liebster Feind“: Murnberger-Film belebt Berlinale

MurnbergerFilm belebt Berlinale
MurnbergerFilm belebt Berlinale(c) Reuters (HO)
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Österreicher in Berlin. In der NS-Komödie „Mein liebster Feind“ agiert das Duo Georg Friedrich und Moritz Bleibtreu furios: Abwechslung vom enttäuschenden Wettbewerb.

Wenn sich ein Film in der Historie einnistet und sie dramaturgisch verwendbar macht, dann hockt dieser Film nicht selten in Uniform vor einem. Man kann auch sagen, in einem Korsett, das alles Freifliegende und die ganzen Zwischentöne aus dem Stoff presst, ihm keine Luft mehr lässt zum Atmen. Umso erfreulicher ist es demnach anzusehen, wie intelligent und humorvoll der österreichische Regisseur Wolfgang Murnberger in seiner klassisch angehauchten Verwechslungskomödie Mein liebster Feind das moralische Fast Food vieler im Nazi-Deutschland angesiedelter Historienfilme umschifft: Die Welturaufführung der austrodeutschen Koproduktion bei der Berlinale wurde nicht zuletzt deshalb von Applaus begleitet, weil die Figuren darin Gestaltwandler sind.

Der Wiener Strizzi Rudi (wie immer physisch und phonetisch eine Sensation: Georg Friedrich) bringt seine Kindheit und Jugend als Sohn der Haushälterin in der Villa des jüdischen Kunsthändlers Jakob Kaufmann (Udo Samel) zu: Neben dessen Spross Victor (Moritz Bleibtreu) ist er der ewige Zweitsohn – und wirft sich nach dem Anschluss 1938 in SS-Schale, sieht bei der Deportation seiner „Familie“ tatenlos zu. 1943 dreht sich der Spieß, gemäß dem gewieften Drehbuch von Romanautor Paul Hengge allerdings um: Hitler will seinem Freund Mussolini bei dessen Staatsbesuch in Berlin eine verschollen geglaubte Michelangelo-Zeichnung aus der beschlagnahmten Kaufmann-Sammlung überreichen, die sich unter der Lupe eines italienischen Kunsthistorikers allerdings als Fälschung herausstellt. Auf der Suche nach dem Original wird das Naziflugzeug mit den wiedervereinten Exfreunden und nunmehrigen Feinden Victor und Rudi an Bord von polnischen Partisanen vom Himmel geschossen.

„Siegerfurz“ und Shakespeare

Im anschließenden Chaos passiert der folgenschwere Kleidertausch: Der KZ-Insasse schlüpft in die SS-Uniform des verletzten Rudi, der Nazischerge zieht die Lumpen an. Murnberger schöpft das situationskomische Potenzial dieser Rolleninversion maximal aus und lässt die großartige Kupplung von Georg Friedrich und Moritz Bleibtreu zur Hochform auflaufen: Dass Rudi ohnehin nur ein kleiner Furz in all dem Wahnsinn sei, sagt ihm Victor ins Gesicht. Der antwortet so weinerlich wie kämpferisch: „Vielleicht bin ich ein Furz, aber ich bin ein Siegerfurz!“

Aufgrund solcher dialogischer Preziosen und eines leichtgewichtig vor sich hin galoppierenden Drehbuchs war der außer Konkurrenz gezeigte Mein liebster Feind eine willkommene Auflockerung in einem Wettbewerb, der nicht nur großflächig enttäuscht, sondern sich vorwiegend in schwierigen, oft prätentiösen Arbeiten erschöpft hat. Beispielhaft dafür steht das Kriegsdrama Coriolanus: Das Regiedebüt des Schauspielers Ralph Fiennes transportiert Shakespeares Tragödie in die Neuzeit, behält allerdings deren Sprache bei. Während also Barry Ackroyds göttlich bewegliche Kamera die Details der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Caius Martius (manisch: Fiennes) und Tullus Aufidius (Gerard Butler) so detailreich wie kinetisch einfängt, reiben sich die 400 Jahre alten Dialoge an der Verité-Ästhetik: Das Resultat lässt einen ratlos zurück zwischen all den angehäuften, aber nie beanspruchten Interpretationsrahmen. Nur Vanessa Redgraves leidenschaftlich kaltblütige Darstellung der Generalsmutter, die ihren Überläufersohn auf Knien um Gnade anfleht, bleibt in Erinnerung.

Das Porträt einer zerbrechenden Familie zeichnet auch Johannes Hammel in Folge mir, dem österreichischen Beitrag in der Berlinale-Nebensektion Forum: Ein extrem stilisierter Bilderbogen, pendelnd zwischen harten Schwarz-Weiß-Aufnahmen und fröhlich-bunten Super-8-Filmen aus Hammels eigener Kindheit, der einen beunruhigenden Sog gen surreale Zwischenwelten entwickelt. „Solange man träumt, gibt es immer einen Ausweg“, ist der Satz von Paul Auster, der Folge mir voransteht. Oder auch: Solange man träumt, gibt es das Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2011)

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