Ankara und Brüssel stecken im Teufelskreis

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Ein Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan bei der EU-Kommission soll die Erstarrungen im Beitrittsprozess lösen. Doch nicht nur deshalb steht der Brüssel-Besuch unter einem schlechten Vorzeichen.

Brüssel/Go. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet brachten die letzten sechs Monate eine Premiere für das Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union: Erstmals seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 konnte kein einziges neues Kapitel geöffnet werden. Auch gab es erstmals in einem Halbjahr keine hochrangige Regierungskonferenz. Der türkische Beitrittsprozess ist fast komplett erstarrt.

Doch nicht nur deshalb steht der Brüssel-Besuch von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan am kommenden Dienstag unter einem schlechten Vorzeichen. Am 12. Juni finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Erdoğans Partei kann folglich der EU in den nächsten drei Monaten keine Zugeständnisse in heiklen Fragen wie dem Zypern-Konflikt oder der versprochenen Stärkung der politischen und kulturellen Rechte der Kurden machen. Das wäre allerdings die Voraussetzung, damit die EU die Öffnung zumindest einiger der derzeit 18 blockierten Verhandlungskapitel anbietet. Dabei geht es darum, dass die Türkei zum Beispiel das EU-Recht in Fragen der Außenbeziehungen, der Sicherheitspolitik oder der Justiz übernimmt.

Beide Seiten blockieren also, und es wird am Dienstag für Erdoğan, Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Außenbeauftragte Catherine Ashton und Erweiterungskommissar Štefan Füle sehr schwer, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Rund 30.000 Türken in Libyen

Zumindest wollen die EU und die Türkei versuchen, ihre Haltung gegenüber dem wankenden libyschen Diktator Muammar Gaddafi abzustimmen. Die Union konnte sich nun spät, aber doch zu Sanktionen gegen das libysche Regime durchringen. Erdoğan dagegen scheut vor einer harten Haltung gegenüber Gaddafi zurück, weil er Sorge um die schätzungsweise rund 30.000 türkischen Staatsbürger in Libyen hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2011)

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