Slowakei: Gratisnudeln für Verlierer des Aufschwungs

Gratisnudeln fuer Verlierer Aufschwungs
Gratisnudeln fuer Verlierer Aufschwungs(c) AP
  • Drucken

Mehl und Teigwaren sollen künftig gratis an die Bedürftigen des Landes verteilt werden. Gegen dieses Vorhaben der slowakischen Regierung hagelt es heftige Kritik der Opposition.

Bratislava. Die slowakische Regierung will die staatlichen Getreidespeicher für die Armen des Landes öffnen. Mehl und Teigwaren sollen kostenlos an die Bedürftigsten verteilt werden. Mit diesem Vorhaben wollen Premierministerin Iveta Radicova und Landwirtschaftsminister Zsolt Simon zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ihre Maßnahme ist einerseits als Unterstützung für all jene Menschen in der Slowakei gedacht, die am meisten unter den dramatisch steigenden Lebensmittelpreisen leiden.

Und andererseits soll die Schwemme an Gratisnahrungsmitteln Druck auf den Markt ausüben, die Preise zu senken. Agrarminister Simon demonstrierte die Schnelligkeit der Regierung im Umsetzen ihrer Vorhaben: Die öffentliche Ausschreibung des Auftrags zur Verarbeitung von 45.000 Tonnen Getreide habe bereits „in diesen Tagen“ begonnen.

Hohe Strompreise

Als parallele Maßnahme will Wirtschaftsminister Juraj Miskov auch eine Senkung der Strompreise durchsetzen. Damit stellt sie sich gegen die Stromdistributoren, die in der Praxis noch weitgehend als regionale Monopole mit aufgeteilten Sphären agieren (ähnlich wie die Landeselektrizitätsgesellschaften in Österreich).

Die Strompreise in der Slowakei gehören zu den höchsten Europas, bei einem der niedrigsten Lohnniveaus der EU. Auch das trage, neben globalen Ursachen, wesentlich zu den hohen Produktionskosten der Landwirtschaft bei, meint Miskov.

Die Ankündigung der staatlichen Lebensmittelhilfe aber ging als PR-Aktion denkbar schief: „Sind wir ein zentralafrikanisches Entwicklungsland?“, fragte der sozialdemokratische Ex-Premier und nunmehrige Oppositionsführer Robert Fico sofort empört in einer eilends einberufenen Pressekonferenz.

Allein schon dass die Regierung überhaupt auf die Idee kommen könne, einen Teil der Bevölkerung zu Almosenempfängern zu machen, anstatt ihnen Arbeit und soziale Sicherheit zu schaffen, zeige ihre „vollkommene Ratlosigkeit“ und sei eine sozialpolitische Bankrotterklärung. „Statt ihre politischen Fehler einzugestehen, kommt die Regierung mit einem Unsinn daher, der die ganze Republik erniedrigt“, schimpfte Fico medienwirksam. Für ihn ist der Verweis der Regierung auf die weltweit steigenden Lebensmittelpreise nur eine Ausrede.

In Wahrheit sei ein Gutteil der Misere hausgemacht: Die Lebensmittelpreise seien auch deshalb so rasant gestiegen, weil die Regierung die Landwirtschaft wie einen „überflüssigen Sektor“ behandle, anstatt sie zu fördern.

„Mit Nudeln Wähler kaufen“

Die seit Jahresbeginn wirksame Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 20 Prozent habe einen zusätzlichen Preisauftrieb verursacht. Aber sogar die regierungsnahen Zeitungen, die Premierministerin Radicova gewöhnlich gegen Ficos Agitationen in Schutz nehmen, reagierten auf den Regierungsvorschlag mit einer Mischung aus Entsetzen und Hohn. „Die Regierungspolitiker irren, wenn sie meinen, im Wettlauf mit Fico dessen Wähler mit Nudeln kaufen zu können“, kritisierte die rechtsliberale Tageszeitung „Sme“. Und: „Das Mehlprogramm der Regierung Radicova passt nicht ins Bild eines Landes, das der OECD angehört, also der Gruppe der entwickeltsten Länder der Welt.“

Große Einkommensunterschiede

Tatsächlich zeigen die makroökonomischen Daten einen dramatischen Gegensatz: Obwohl die slowakische Volkswirtschaft insgesamt mit einer der höchsten Wachstumsraten Europas (für 2010 vier Prozent Wachstum) fast wieder an die Boomjahre vor der Wirtschaftskrise anschließt, steigen die Arbeitslosenzahlen weiter an.

Im Jänner errechneten die slowakischen Arbeitsämter 13 Prozent Arbeitslosigkeit, nach EU-Berechnungen lag der Wert schon vorher bei 14 Prozent.

Dazu kommen enorme regionale Unterschiede: Die Region Bratislava hat nach den jüngsten Statistiken von Eurostat sogar schon Wien an Kaufkraft überholt und gehört zu den reichsten Regionen Europas. In der Ostslowakei hingegen gibt es bis heute Roma-Siedlungen, die mehr an die Dritte Welt erinnern als an ein EU-Mitgliedsland.

So ist es möglich, dass einerseits immer mehr Bewohner Bratislavas ein Haus in den österreichischen Nachbargemeinden kaufen oder bauen, weil dort die Immobilienpreise niedriger sind als in der Boomstadt Bratislava – und andererseits Angehörige der Roma-Minderheit aus anderen Landesteilen der Slowakei zu einem regelrechten Betteltourismus nach Graz und in andere österreichische Städte fahren.

Auf einen Blick

Die slowakische Regierung will Gratismehl und Nudeln an die arme Bevölkerung verteilen. Eine Maßnahme „wie in einem zentralafrikanischen Entwicklungsland“, kritisiert die sozialdemokratische Opposition. Die Wohlstandsschere in der Slowakei geht stark auf: Während die Kaufkraft im Westen hoch ist, gibt es im Osten hohe Arbeitslosigkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.