Nicht nur bei den Dissertanten, auch bei Vortragenden und Gutachtern an den Universitäten liege einiges im Argen, sagen Fachleute. Das Zitieren müsse besser gelehrt werden, möglichst vom ersten Semester an.
Wien. Karl-Theodor zu Guttenberg ist jetzt nicht nur seinen akademischen Titel, sondern auf eigenen Wunsch auch seinen Job als deutscher Verteidigungsminister los. Stein des Anstoßes: Er hat seine Dissertation zum Teil abgeschrieben – und zwar, ohne Quellen korrekt anzugeben. Während zu Guttenberg die Zitierregeln gekannt haben dürfte, stünden viele Dissertanten oder Diplomanden heute im Regen, wenn es ums korrekte Zitieren geht, ertönt nun der Ruf aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft – so auch in Österreich. Das Zitieren müsse besser gelehrt werden, und zwar möglichst vom ersten Semester an; Vortragende und Gutachter seien stärker gefordert, sagen Experten zur „Presse“.
„Ich glaube schon, dass hier noch das eine oder andere im Argen liegt“, so Christoph Kratky, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI). Die Agentur wurde nach dem „Fall Johannes Hahn“ – der heutige EU-Kommissar soll in seiner Dissertation schlampig zitiert haben – geschaffen; unter den Gründungsmitgliedern sind zwölf Universitäten. Seit Juni 2009 hat die ÖAWI bereits mehrere Arbeiten von österreichischen Wissenschaftlern im In- und Ausland sowie von ausländischen Wissenschaftlern in Österreich auf „wissenschaftliches Fehlverhalten“ geprüft: auf Plagiarismus sowie auf das Fälschen oder Erfinden von Daten.
Anträge auf eine Überprüfung kämen aber nicht nur von Universitäten oder von den Herausgebern wissenschaftlicher Journale, sondern auch von Studenten und Wissenschaftlern selbst, heißt es bei der Agentur: Viele wüssten gar nicht, wie Zitieren richtig geht, sagt Nicole Föger von der ÖAWI. Immerhin würden je nach Disziplin unterschiedliche Regeln gelten.
Kratky, selbst Professor am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz, betont: „Vor allem Dissertationsbetreuer müssen teils noch stärker darauf drängen, dass richtig zitiert wird, und dies auch aktiv einfordern.“ Aber auch schon früher, vom ersten Semester an, müsse „die Sensibilität klar geschärft werden“.
Die meisten der 21 öffentlichen Unis setzen seit dem Fall Hahn aus dem Jahr 2007 auf Software-Programme, um Diplomarbeiten und Dissertationen auf unerlaubtes Zitieren etwa aus dem Internet hin zu untersuchen. Seit damals sind an mehreren Unis auch eigene Ombudsstellen entstanden, die von Seminarleitern, Diplomarbeits- und Dissertationsbetreuern bemüht werden können, wenn sie Arbeiten anzweifeln.
Sind Professoren überfordert?
Auch die Experten der Studien- und Prüfungsabteilungen der Unis stehen bei Anfragen bereit. So wie Kurt Rosivatz von der Uni Linz. Allerdings zähle er nur etwa eine Anfrage im Monat. „Der studentische Plagiarismus ist meist trivial“, sagt Rosivatz. „Der Anreiz, einfach zu kopieren, ist heute größer. Das Internet hat es sehr erleichtert.“
Bei der „Zitier-Lehre“ sieht Rosivatz „noch großen Bedarf“, und zwar von Anfang an. „Frühes Aufklären würde nachträgliches Strafen verhindern helfen.“ Dass Gutachter Zitierfehler eher übersehen, wenn sie 50 statt nur fünf Arbeiten im Jahr betreuen, sei klar. Kratky wünscht sich als Gegenmaßnahme eine Obergrenze für die Zahl der betreuten Arbeiten. In Massenstudien sei dies aber unrealistisch.
Hintergrund
Der Fall Hahn brachte an den heimischen Unis eine Trendwende im Kampf gegen schlampiges wissenschaftliches Arbeiten: Johannes Hahn, damals ÖVP-Wissenschaftsminister und heute EU-Kommissar, soll in seiner Dissertation schleißig zitiert haben, hieß es 2007. Plagiatsvorwürfe wurden damals nicht erhoben; die Arbeit wird nun aber neu geprüft.
Bereits vor Jahren entstanden an mehreren Unis „Ombudsstellen“, die Dissertationen und Diplomarbeiten auf „Abkupfern“ hin unter-suchen – zum Teil mit teurer Software. Seit 2009 gibt es außer-dem für besonders kritische Fälle und hochwertige Arbeiten bis hin zu Habilitationen die „Österreichi- sche Agentur für wissenschaftliche Integrität“. Als Prüfer fungieren ausschließlich unabhängige, ausländische Experten. Fliegt ein Autor auf, entscheidet in der Regel „seine“ Uni über die Konsequenzen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2011)