Sicherheit: Kanzleramt "zerlegt" Vorratsdaten

Sicherheit Kanzleramt zerlegt Vorratsdaten
Sicherheit Kanzleramt zerlegt Vorratsdaten(c) AP (Thomas Kienzle)
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Ein vertrauliches Gutachten aus dem Bundeskanzleramt bezeichnet die geplanten Polizeibefugnisse zur Auswertung aller Telefon-, Handy- und Internet-Verbindungsdaten als "ernste Gefahr für Freiheit der Bürger".

Wien. Vor neun Tagen präsentierte die Bundesregierung das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Die systematische Erfassung des Kommunikationsverhaltens aller Bürger sei erstens aus Sicherheitsgründen nötig, zweitens von der EU gewünscht und drittens mit weitreichenden Schutzmechanismen für unschuldige Bürger versehen. Zumindest Punkt drei darf ab sofort bezweifelt werden.

Der „Presse“ liegen vertrauliche Papiere aus dem Bundeskanzleramt vor, die der offiziellen Darstellung widersprechen. Aus ihnen geht hervor, dass namhafte Abteilungen aus Werner Faymanns Ressort massive Bedenken gegen die verdachtsunabhängige Speicherung aller Telefon-, Handy- und Internet-Verbindungsdaten hegen, oder besser: gegen die Zugriffsrechte der Staatsgewalt. Wortwörtlich ist von einer „ernsten Gefahr für Privatsphäre, Meinungs- und Pressefreiheit der Bürger“ die Rede.

Der Kern der Kritik bezieht sich auf die Befugnisse der Polizei. Parallel zu Telekommunikationsgesetz (TKG) und Strafprozessordnung (StPO) wird auch das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) novelliert. Ebendort sind die Rechte der Sicherheitsbehörden zur Prävention möglicherweise anstehender Verbrechen geregelt. Um im Vorfeld einer vermuteten Tat – etwa die Ausforschung eines Anrufers oder eines E-Mail-Versenders – tätig werden zu können, musste die Polizei bisher eine „konkrete Gefahr“ nachweisen. Nun plant das Innenministerium, Namen, Daten und Standort eines angeblich Verdächtigen schon zum Zweck der „Abwehr allgemeiner Gefahren“ einsetzen zu dürfen. Ohne Anordnung eines Staatsanwalts, ohne Kontrolle eines Richters.

Zugriff auch für Kleinstdelikte

Das 24 Seiten starke Gutachten des Kanzleramts sieht darin die „Möglichkeit der Durchbrechung des Kommunikationsgeheimnisses für sämtliche den Sicherheitsbehörden übertragenen Aufgaben“. Oder anders formuliert: Schon die unbegründete Behauptung auf ein möglicherweise bevorstehendes Kavaliersdelikt reicht aus, um die Kommunikation eines Bürgers zu durchleuchten, der vielleicht nur einer systemkritischen Organisation (Stichwort: radikale Tierschützer) angehört. Davon ausgenommen sind lediglich Ordnungswidrigkeiten wie das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Dabei zeigt das Papier noch weitere Schwächen des Vorhabens auf. Beispielsweise die, dass bei der Verfolgung durch die Strafjustiz nicht immer eine richterliche Genehmigung zur geheimen Überwachung nötig ist. Etwa dann, wenn es sich um IP-Adressen handelt.

Eine politische Dimension erhält das Gutachten dadurch, dass es am Montag in einer nicht öffentlichen Sitzung des im Bundeskanzleramt angesiedelten Datenschutzrates (DSR) präsentiert wurde. Gezeichnet ist das vom Verfassungsdienst ausgearbeitete Schreiben vom SPÖ-Abgeordneten Johann Maier, der den Ratsvorsitz führt. Dem Protokoll der Sitzung ist zu entnehmen, dass die Vertreter von ÖVP, Innen- und Justizministerium „not amused“ über das Gutachten waren – weshalb die geplante Stellungnahme des DSR zur Vorratsdatenspeicherung nicht zustande kam. Vielmehr befasste man eine „Arbeitsgruppe“ damit. „Ein Begräbnis erster Klasse, weil diese Arbeitsgruppe wohl niemals zu einem Ergebnis kommen wird“, sagt Datenschützer Hans Zeger, der für die Grünen im DSR sitzt.

Umgehung der Infopflicht möglich

Andere, nicht den Regierungsparteien angehörige DSR-Mitglieder orakelten am Mittwoch darüber, ob Maier dem geplanten Gesetz ob seines äußerst kritischen Papiers im Nationalrat überhaupt zustimmen könne. Der „Presse“ teilte er mit, dass er das erst nach dem parlamentarischen Diskussionsprozess entscheiden werde.

Innen- und Justizministerium hatten in der Vergangenheit stets betont, dass mit dem Gesamtpaket von TKG, StPO und SPG auch der Rechtsschutz gestärkt werde, also der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums jede Überwachung „prüfen“ und alle Betroffenen spätestens nach dem Ende der Ermittlungen über die Maßnahmen informieren müsse. Doch auch das stimmt nur zum Teil.

Tatsächlich regelt das Gesetz nämlich nicht, was der Rechtsschutzbeauftragte als Ergebnis einer negativen Prüfung zu tun hat. Und: Auch eine Informationspflicht für Betroffene lässt sich nicht ableiten. Die gilt nämlich nur, wenn die Behörden von den Providern Informationen aus dem virtuellen Topf der „Vorratsdaten“ anfordern. Dieselben Daten nämlich werden von den Betreibern an anderer Stelle zum Zweck der Rechnungslegung für die Endkunden gespeichert. In der Sitzung am Montag erging die Frage, woher die Polizei denn wisse, aus welchem Datenpool die gewünschten Informationen denn kämen. Die Antwort der Vertreterin des Innenministeriums: „Wir wissen es nicht.“

Auf einen Blick

Kommunikationsdaten aller Bürger sollen in Zukunft verdachtsunabhängig und auf Vorrat (daher Vorratsdatenspeicherung) gespeichert werden. Nachdem sich die Regierungsparteien vor neun Tagen auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf einigten, hegt nun eine gutachterliche Stellungnahme des Bundeskanzleramts ernste Grundrechtsbedenken.

Vorgelegt wurde das Schreiben am Montag in einer nicht öffentlichen Sitzung des Datenschutzrates, der vom SPÖ-Abgeordneten Johann Maier geleitet wird.

Insbesondere die Zugriffsrechte der Polizei zur Verbrechensprävention erachtet das Gutachten als „ernste Gefahr für Privatsphäre, Meinungs- und Pressefreiheit der Bürger“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2011)

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