Irgendwann wird dann auch die Darmflora gesetzlich reguliert

(c) Clemens Fabry
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Verbrennungsmotoren zu verbannen, wie es die EU überlegt, mag überlebensnotwendig sein. Aber das Prinzip, das dahinter steht, ist auch nicht ungefährlich.

Leitartikel

Die Nachricht, dass die EU plant, ab 2050 in Städten keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen, erinnert an das berüchtigte Verbot der herkömmlichen Glühbirne durch die europäischen Wirtschaftsminister. Hier wie dort geht es darum, den Menschen die CO2-ärmste Variante eines Gerätes vorzuschreiben. Jeweils mit Verweis darauf, dass die Funktionalität des jeweiligen Gerätes ja trotzdem voll gewahrt bleibt. Ein Ansatz mit Denkfehler: Denn die „eigentliche“ Funktionalität dieser Dinge ist nicht eindeutig. Sie hängt nämlich von den persönlichen Präferenzen jedes Konsumenten ab.

Eine Glühbirne ist nur in den Augen grauer Bürokraten allein dazu da, die Helligkeit zu erhöhen. In Wirklichkeit ist sie ein Einrichtungsgegenstand, bei dem außer der Lichtstärke das Lichtspektrum und die Farbtemperatur eine Rolle spielen. Viele Menschen sind bereit, für das besonders warme Licht einer Glühbirne auch mehr zu zahlen. So wie manche Menschen es gerne im Winter gemütlich warm haben und die Heizung höher drehen als die ausreichenden 19 Grad.

Und ein Auto ist für viele nicht bloß eine Maschine, mit der man von A nach B kommt. Ein Auto ist auch Ausdruck der Persönlichkeit, eine kleine, fahrende Burg, blecherne Geliebte, Wohnzimmer, Unterpfand der Freiheit, Prestigeobjekt etc. Manchen ist es wichtiger, ihr Auto zu waschen, als es zu fahren. Mag sein, dass ein Elektroauto all diese Funktionen am effizientesten erfüllt – aber wissen wir's?

Natürlich ist es Staatsaufgabe, den Gebrauch von Dingen zu verhindern, die die Lebensinteressen der Gesellschaft bedrohen. Ganz zu Recht ist das Hantieren mit Sprengmitteln in Ballungsräumen streng reglementiert und ist FCKW verboten worden. Und weil der Individualverkehr einer der größten CO2-Emittenten ist, kann sogar eine Verbannung des Verbrennungsmotors gerechtfertigt sein – wenn nur so ein relevanter Teil des Klimaschadens abgewendet werden kann. So unvernünftig ist das dann nicht. Und bis 2050 ist wahrscheinlich ein Benzinauto ohnehin technologisch rückständig und im Betrieb unbezahlbar.

Das Beispiel Glühbirne zeigt aber, dass Wachsamkeit angebracht ist, wenn ferne Behörden über eine Effizienzsteigerung des Bürgerverhaltens nachdenken. Denn für alles gibt es eine CO2-effizienteste Variante, die man zur einzig legalen erklären kann: für die Größe von Fenstern und den Innenanstrich, für Material und Herstellung der Bluse und des Sofas, für den Zeitpunkt eines Museumsbesuches und selbst für die Organisation von E-Mail-Verteilern, sogar für den Speiseplan – auf das, was nach einem Teller Bohnensuppe das Methanobrevibacter smithii im Darm an Treibhausgas erzeugt, kann man nicht laut genug aufmerksam machen. Das klingt alles weit hergeholt – aber man hätte vor Kurzem auch den Gedanken lächerlich gefunden, dass die Glühbirne per Gesetz aus der Welt geschafft würde. Noch dazu kurz bevor die Nachfolgetechnologie LED sie ohnehin ganz ohne Staatszwang verdrängt hätte.

Natürlich müssen die Kosten, die die Präferenzen des Einzelnen verursachen, ihm durch Steuern und Abgaben zugerechnet werden. Dann kann er individuell Abwägungen treffen – und als freier und verantwortlicher Mensch agieren.

Wachsamkeit also. Auch abseits der Klimapolitik. Denn jede Handlung hat eine negative Kostenkomponente, auch wenn nicht in CO2 bezahlt wird, sondern mit einem Besuch beim Diätberater oder einem Kater. Jedes Mal gäbe es etwas Gescheiteres, was man den Menschen vorschreiben könnte. Es ist entscheidend, dass die Politik dieser Versuchung nicht erliegt.

Auch nicht auf so hintersinnige Weise wie die britische Regierung, die eine eigene Abteilung unterhält (das „Behavioural Insight Team“, im Volksmund „Nudge Unit“/„Rippenstoß-Einheit“), um Bürger, ohne dass sie es recht bemerken, dazu zu drängen, die besten Handlungsweisen für sich und die Gesellschaft zu wählen. Der Gedanke dahinter ist, dass die Regierung besser als die Menschen weiß, was das Richtige ist. Aber das ist eine krause Annahme, die letzten Endes die rationale Basis von freien Wahlen aushebelt: Wenn wir erzogen werden müssen, weil wir von alleine nicht wissen, was uns gut tut – wieso sind wir dann kompetent genug, unsere Erzieher selbst auszusuchen?

E-Mails an: michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2011)

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