Segen der Landwirtschaft: Kinder und Krieg

(c) Clemens Fabry
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Warum die Menschen die nomadische Lebensweise des Jagens und Sammelns aufgaben und sesshaft wurden, ist bislang rätselhaft: Die frühen Bauern lebten schlecht. Allerdings konnten sie sich stark reproduzieren.

Vor etwa 150.000 Jahren entstanden die Menschen, die sich heute selbst „anatomisch modern“ oder auch „Homo sapiens“ nennen, dann zogen sie als Jäger und Sammler durch die Lande, bis vor etwa 10.000 Jahren. Da begannen sie, zunächst in Anatolien, die größte aller Revolutionen, die neolithische: Sie wurden sesshaft und erfanden die Landwirtschaft, domestizierten Pflanzen und Tiere. Von deren (heute) sicheren Erträgen leben wir, unsere Körper und unsere Kultur, im Rückblick erscheint der erste Schritt ganz logisch. Aber für die, die ihn unternahmen, war er eine „Katastrophe“, so fasste es Jared Diamond vor fast 25 Jahren zusammen (Discover Magazine, Mai 1987).

Und bis heute ist ungeklärt, warum die Menschheit diesen „schwersten Fehler ihrer Geschichte“ (Diamond) begingen. Denn die wenigen Jäger und Sammler, die es noch gibt, leben gut – jedes Mitglied einer Gruppe von Buschmännern in Südafrika jagt und/oder sammelt 12 bis 19 Stunden in der Woche, den Rest kann er/sie anders verbringen, bei den Hazda in Tansania ist es ähnlich –, und die ersten Bauern lebten schlecht. Die zuvor breite Nahrungspalette wurde auf wenige Feldfrüchte reduziert, die zudem durch Missernten gefährdet waren. Das und die harte Arbeit ließ die Lebenserwartung sinken – bei amerikanischen Indianern etwa von 26 auf 19 Jahre –, und die Körpergröße auch, heute noch sind die Menschen in Anatolien nicht so hochgewachsen wie ihre jagenden und sammelnden Ahnen; die Körper wurden auch schwächer, Fossilien zeigen häufige Knochenbrüche. Zudem halsten sich die Menschen durch ihr enges Zusammenleben in großen Gruppen (und mit Nutztieren) ganz neue Krankheiten auf.

Agrikultur brachte Eigentum und Macht

Und sie brachten, zumindest in Diamonds Sicht, alle sozialen Übel in die Welt: Jäger und Sammler leben egalitär, sie haben keinen Besitz außer Waffen und Geräten; Bauern hingegen akkumulieren Vorräte, das brachte Eigentum und Macht – und Kämpfe und Kriege darum, Jericho zog vor 10.000 Jahren schon Stadtmauern hoch; und es brachte eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, in der Frauen die größten Lasten zu tragen haben. Warum taten die Menschen sich all das an, warum zogen sie aus dem Paradies aus? War es wirklich eines? Samuel Bowles (Santa Fe) hat die Produktivität der beiden Systeme – Landwirtschaft vor der Mechanisierung, Jagen/Sammeln vor den Feuerwaffen – verglichen, es ist nicht einfach, man muss etwa bei Bauern einrechnen, wie viel das damalige Einkorn trug und welche Teile der Ernten beim Lagern verdarben.

Unter dem Strich wird das Rätsel eher größer: Die Agrikultur schneidet schlechter ab, ihre Produktivität liegt bei nur 60 Prozent der des Jagens und Sammelns (Pnas, 7.3.). Warum kam sie dann? Einen klassisch darwinistischen Vorteil bietet sie bzw. die Sesshaftigkeit: Die Reproduktionsrate steigt. Sammlerinnen können sich nur alle vier Jahre ein Kind leisten, es liegt an der nomadischen Lebensweise, mehr als ein Kind kann eine Frau nicht mit sich tragen, die größeren müssen auf eigenen Beinen mit der Gruppe wandern können (deshalb der Vier-Jahres-Abstand, gesichert oft durch Infantizid). Bäuerinnen hatten alle zwei Jahre ein Kind, zudem hatten ihre Gesellschaften eben zum Schutz ihres Eigentums – und zum Raub von fremdem – Spezialisten von der Feldarbeit freigestellt: Soldaten.

Beidem waren die Jäger und Sammler nicht gewachsen, sie zogen sich in immer entlegenere Regionen zurück. Auch dort haben sie keine Ruhe, heute kommen Forscher und nehmen ihnen für Genanalysen Blut ab, den Buschmännern und Hazda. Brenna Henn (Stanford University) hat es bei 26 Populationen in Afrika getan – auch im Osten und Westen, auch bei Bauern –, sie fand die größte genetische Vielfalt bei Jägern und Sammlern im Süden (Pnas, 7.3.). Das heißt, dass Homo sapiens dort entstand. Aber das passt schlecht ins bisherige Bild: Die Schädel unserer frühesten Ahnen stammen aus Ostafrika, unsere Gene deuten auch dorthin. Möglicherweise lässt es sich durch Wanderbewegungen erklären und dadurch, dass sich das Interesse von Anthropologen und Genetikern stärker auf Ostafrika konzentriert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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