Ägypten: Mob macht Jagd auf Kairos Christen

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In einem Armenviertel der ägyptischen Hauptstadt Kairo toben Straßenschlachten zwischen Christen und Muslimen. Die Kopten im nordafrikanischen Staat fühlen sich auch nach der Revolution weiterhin diskriminiert.

Kairo. Ägyptens Christen geraten zunehmend unter Druck: Erstmals seit der Revolution im nordafrikanischen Staat attackierten Gruppen bewaffneter muslimischer Männer Christen in der Hauptstadt Kairo. Bis Mittwochnachmittag wurden mindestens 13 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Fast alle Todesopfer waren durch Schüsse ums Leben gekommen. Nur Tage zuvor war eine Kirche in Helwan in Brand gesteckt worden.

Die schweren Ausschreitungen hatten in der Nacht im Armenviertel Moqattam am Rande Kairos begonnen. Nach Angaben von Augenzeugen wollten rund eintausend Christen der Siedlung gegen das Anzünden der Kirche in Helwan demonstrieren. Dabei wurden sie von muslimischen Männern angegriffen, die in das Viertel eindrangen, wo viele der Müllsammler von Kairo wohnen. Sie lieferten sich blutige Schlachten mit den Bewohnern und versuchten, Häuser und den recycelten Abfall mit Molotow-Cocktails in Brand zu setzen. „Es war die Hölle“, sagte Adham Refaat, Mitarbeiter der lokalen Sankt-Simon-Kirche. Die Armee hätte stundenlang versucht, die Kämpfenden zu trennen, es sei ihr aber nicht gelungen.

„Beispiellose Gewalt“

Der Großscheich von Al-Azhar, Ahmed al-Tayyeb, verurteilte am Dienstag die Gewalt als „beispiellos in der arabisch-muslimischen Geschichte“ und sprach dem Bischof von Giza, Anba Theodesus, sein Mitgefühl aus. Papst Shenouda III., das greise Oberhaupt der koptischen Kirche, ist zurzeit in einem Krankenhaus in den USA in Behandlung.

Die Kopten, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, fühlen sich am Nil als Bürger zweiter Klasse. Daran hat auch der Sturz des Regimes von Machthaber Hosni Mubarak bisher nichts geändert. So wurden die Wünsche der Kopten nach Änderungen in der Verfassung, über die am 19.März per Referendum abgestimmt werden soll, von dem achtköpfigen Verfassungsrat bisher ignoriert. Die Kopten wollen vor allem den Artikel 2 abgeschafft haben, der den Islam als Staatsreligion festlegt und die Scharia als Hauptquelle der Rechtssetzung.

„Wir wollen keinen islamischen Staat, wir wollen einen zivilen, religiös neutralen Staat“, argumentierte Naguib Gobraiel, Professor für Internationales Recht und einer der wichtigsten koptischen Stimmen im Gespräch mit der „Presse“. Artikel 2 sei die Quelle aller Probleme, „die wir Christen in Ägypten haben“, sagte der 57-Jährige. „Wir werden daran gehindert, Kirchen zu bauen, ja sogar vorhandene Kirchen zu renovieren.“ Darum verlangten die Kopten, „dass in Ägypten endlich Religionsfreiheit hergestellt wird“.

Drohungen der al-Qaida

Am Dienstag demonstrierten erstmals seit der Revolution auch wieder radikale, Koran schwingende Salafiten auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Die Extremisten forderten die Freilassung ihrer beiden „islamischen Schwestern“. Dabei handelt es sich um zwei Frauen, die zum Islam konvertiert sein sollen und seither angeblich in einem Kloster festgehalten werden. Ein Sprecher des Oberhaupts der koptischen Kirche wies diese Darstellung kategorisch zurück: Die beiden Ehefrauen koptischer Priester seien weder zum Islam übergetreten, noch halte man sie gegen ihren Willen fest.

Für die Terrororganisation al-Qaida reichten diese Gerüchte jedoch, um Ägyptens Christen bereits Ende 2010 mit Gewalt zu drohen: Sollten die beiden Frauen nicht freigelassen werden, seien alle Kopten „legitime Ziele“. Am Neujahrstag wurden daraufhin bei einem schweren Bombenanschlag auf die „Kirche der zwei Heiligen“ in Alexandria 23Christen getötet und über 100 verletzt. Bis heute hat die ägyptische Polizei den Täter und seine Hintermänner nicht ermitteln können.

Fehde zwischen Großfamilien

Und nun der Brandanschlag auf auf die „Kirche der zwei Märtyrer“ in Helwan, südlich von Kairo. Hintergrund dieser Spannungen ist offenbar eine Fehde zwischen zwei Großfamilien, die eine Liebesbeziehung zwischen einem jungen Kopten und seiner muslimischen Freundin unterbinden wollten.

Großscheich al-Tayyeb forderte die örtlichen Muslime auf, die niedergebrannte Kirche wieder aufzubauen. Der oberste Militärrat versprach, für den Neubau des Gotteshauses noch vor Ostern zu sorgen.

Auf einen Blick

Christen sind in Ägypten eine Minderheit. Insgesamt sollen nach Schätzungen sechs bis 15 Prozent der Bevölkerung christlichen Glaubens sein, die Mehrheit gehört der Koptisch Orthodoxen Kirche von Alexandria an. Etwa ein Viertel aller ägyptischen Christen leben in Kairo. Viele wollen sich nicht aktiv zu ihrem Glauben bekennen, da Verfolgung und Unterdrückung wieder stark zugenommen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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