Kärntner Slowenen: Vom langsamen Verschwinden einer Volksgruppe

(c) APA (GERT EGGENBERGER)
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Während die Verhandlungen um die Ortstafeln in Kärnten vielversprechend laufen, droht die slowenische Umgangssprache auszusterben. Es gibt immer weniger Menschen, die den slowenischen Dialekt noch beherrschen.

Klagenfurt. „Wir waren acht Kinder, haben zu Hause Windisch gesprochen und Schriftdeutsch erst in der Schule gelernt. Es gibt 22 Enkelkinder, von denen niemand Windisch kann“, erzählt der heute in Wien lebende Südkärntner Peter Kogoj. Und: „Es schaut nicht gut aus, was den Fortbestand und die Pflege unserer Muttersprache betrifft.“ Tatsächlich gibt es immer weniger Menschen, die den slowenischen Dialekt beherrschen.

„Geht unsere Sprache verloren, verlieren wir auch einen wesentlichen Teil unserer Kultur“, warnt Vladimir Smrtnik, langjähriger Leiter des Volksgruppenbüros beim Amt der Kärntner Landesregierung und Chef der „Einheitsliste/Enotna Lista – EL“, der politischen Vertretung der Kärntner Slowenen. Mit „Sprache“ ist der mit deutschen Lehnwörtern angereicherte slowenische Dialekt gemeint, das „Windische“. Dieser Terminus leitet sich von „Wenden“ ab, wie die Ahnen der Kärntner Slowenen einst genannt wurden. Windisch galt allerdings bei der deutschsprachigen Bevölkerung lange Zeit als minderwertig, häufig als ein Schimpfwort.

Der slowenische Dialekt wird in vier Gruppen unterteilt: den Gailtaler, den Rosentaler, den Jauntaler und den Ebriacher Dialekt, der in der Gegend um Bad Eisenkappel/Železna Kapla gesprochen wird. Daneben gibt es noch unzählige Ausprägungen. Fast jedes Dorf hat seinen eigenen Dialekt.

Wie lange noch zweisprachig?

Heute, aber wie lange noch? Die ältere Generation, etwa ab dem 40.Lebensjahr, verwendet diese Sprache noch. In den Gasthäusern im zweisprachigen Kärntner Siedlungsraum ist es völlig normal, dass die Einheimischen auf Deutsch und Slowenisch kommunizieren. Hier verschwimmen auch die Vornamen, die Herkunft spielt keine Rolle. Hanze oder Joze werden auch Angehörige der deutschen Bevölkerungsgruppe gerufen.

„Wir leben die Zweisprachigkeit als Selbstverständlichkeit“, versichert Bernard Sadovnik, Vizebürgermeister von Globasnitz/Globasnica und Chef der Gemeinschaft der Kärntner Slowenen – eine der drei Volksgruppenvertretungen. Im Alltagsleben gebe es das Zweisprachige überall, sei es am Gemeindeamt oder auf Feuerwehrfesten.

Das ist auch bei den Smrtniks der Fall. „Bei uns zu Hause wird fast nur slowenischer Dialekt gesprochen“, sagt Smrtnik, der die Zukunft seiner Muttersprache jedoch nicht rosig sieht: „In einer Generation wird das wohl vorbei sein.“ Die beiden Kinder Sadovniks, 14 und 15 Jahre alt, beherrschen das Windische nicht mehr, wohl aber das Slowenische. „Slowenisch als Umgangssprache nimmt rapid ab, aber die Schriftsprache wollen immer mehr erlernen“, sagt Sadovnik.

Die Statistik gibt ihm recht – sowohl in den zweisprachigen Volksschulen als auch im Slowenischen Gymnasium in Klagenfurt steigen die Anmeldungen seit Jahren an. Auf diesen Trend sprang Sadovnik auf und gründete mit anderen das Projekt „Patenschaft für Mehrsprachigkeit“, gemäß dem Motto Ludwig Wittgensteins: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

„Als Tschuschen beschimpft“

„In Kärnten gibt es grundsätzlich keine negative Stimmung mehr gegenüber der slowenischen Volksgruppe“, versichert Sadovnik. Auch der 2009 als erster EL-Kandidat zum Bürgermeister (der Marktgemeinde Bad Eisenkappel) gewählte Franz Josef Smrtnik sieht die Lage positiv: „Bis in die 1980er-Jahre wurden wir als Tschuschen beschimpft, Windisch war ein Schimpfwort. Heute funktioniert das Zusammenleben sehr gut.“ Es gebe praktisch keine Sticheleien mehr, diskutiert würde nur mehr in Sachen Ortstafeln. Doch auch hier sehnten sich beide Seiten nach einer Einigung, damit endlich Ruhe einkehre.

Smrtnik, der sich vor Jahren an die Ortstafel „Vellach/Bela“ in seiner Gemeinde angekettet hat, um deren Entfernen zu verhindern, ist die bisher geleistete Aufklärungsarbeit hinsichtlich der gemeinsamen Geschichte der beiden Kärntner Volksgruppen zu wenig. Es gehe nicht nur um das jahrhundertelange Zusammenleben, sondern vor allem um die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Volksabstimmung 1920 sowie um die Aussiedlungen slowenischsprachiger Kärntner während des Zweiten Weltkrieges und die Verschleppungen danach. Smrtnik: „Es sind damals entsetzliche Gräueltaten begangen worden, und die Wunden sind zum Teil noch da. Sie werden wohl erst gänzlich verheilen, wenn die Zeitzeugen nicht mehr leben.“

Wie sehen sich die Angehörigen der Volksgruppe selbst? „Wir leben mit der Angst, einmal zu verschwinden“, so Smrtnik. „Wenn die Sprache nicht mehr da ist, gibt es auch keine Kärntner Slowenen mehr.“ Deshalb müsse es im Interesse der Kultur allen Kärntnern ein Anliegen sein, sich zu einer zweiten Landessprache zu bekennen: „Wir sind aus zwei Stämmen entstanden, seien wir stolz darauf!“

Auch sein Bruder Vladimir beklagt das mangelnde Selbstbewusstsein: „Bei vielen ist der Minderwertigkeitskomplex noch stark ausgeprägt, wir haben uns immer untergeordnet, um unsere Ruhe zu haben.“ Dazu komme eine tiefe Sentimentalität, das In-sich-gekehrt-Sein. Andererseits gebe es „den großen Willen, uns weiterzubilden und etwas zu werden“.

Slowenisches Gymnasium boomt

Damit ist auch der Boom des Slowenischen Gymnasiums zu erklären. Die 1957 eröffnete Schule hat mittlerweile rund 1800 Maturanten hervorgebracht. „Der Großteil unserer Schüler kommt aus den Bezirken Klagenfurt, Völkermarkt und Villach-Land, zunehmend sind wir auch in Slowenien und Norditalien gefragt“, zeigt sich Direktor Miha Vrbinc stolz. Diese Nachfrage hat einen Grund: „In manchen Klassen unterrichten wir vier Sprachen.“

Die jungen Kärntner Slowenen sind deutlich selbstbewusster als die Generation ihrer Eltern. „Für mich ist es selbstverständlich, dass ich Slowenisch spreche“, sagt der 17-jährige Toman. „Als Minderheit musst du selbstbewusst sein, um dich behaupten zu können. Wir stehen zu unserer Identität.“ Die 18-jährige Valentina stimmt zu: „Im Gegensatz zu früher sind wir heute sehr, sehr selbstbewusst.“

Auch Luka, 17 Jahre, strahlt Selbstsicherheit aus, spricht aber auch ein Thema an, das längst verschwunden sein sollte: „Es gibt noch immer einige, die uns nicht akzeptieren. Vor allem junge Leute beziehen ihre Ausländerfeindlichkeit auch auf uns. Wir müssen uns dann Sätze wie ,Geht‘s wieder obe!‘ anhören. Und das verletzt sehr.“

Mit „obe“ war über Jahrzehnte das einstige Jugoslawien gemeint, da ein Teil der slowenischen Volksgruppe 1920 für den Anschluss an diesen Staat votiert hatte. „Diesen Menschen ist nicht bewusst, dass die Slowenen genauso lange hier leben wie die Deutschsprachigen“, bedauern die Gymnasiasten. Es liege an der Politik und an den Schulen, hier umfassend aufzuklären.

Eher schwarz sehen die drei für die Zukunft der slowenischen Umgangssprache. Bei Luka wird zu Hause zwar noch Windisch gesprochen, in Tomans Elternhaus aber nur noch ab und zu. In den Heimatgemeinden der Schüler, Ludmannsdorf/Bilčovs und Suetschach/Sveče, sei der Dialekt etwas völlig Normales. Im Gymnasium schaue es aber anders aus: „Hier hört man auf den Gängen immer mehr Deutsch.“ Der Direktor schätzt, dass pro Klasse vielleicht noch fünf oder sechs Schüler Slowenisch als Umgangssprache beherrschen.

Noch deutlicher tritt das Verschwinden des Windischen in der zweisprachigen Volksschule Hermagoras in Klagenfurt zu Tage. Während die Schüleranzahl seit Jahren wächst, können immer weniger die Sprache ihrer Vorfahren. „70 Prozent der 85 Kinder beherrschen weder die Umgangs-, noch die Schriftsprache. Vor 20 Jahren hatten wir 40 Schüler, die alle Slowenisch konnten“, erzählt Direktorin Marica Hartmann. Allerdings kämen immer mehr Kinder aus rein deutschsprachigen Familien.

Fehlende Anerkennung

Eine der primären Ursachen sei die bis heute fehlende, vorbehaltlose Anerkennung der Volksgruppe, beklagt Hartmann, eine Enkelin des legendären Gründers des Rates der Kärntner Slowenen, Joško Tischler: „Slowenen leben seit rund 1500 Jahren in dieser Region, und ich schäme mich nicht meiner Wurzeln.“ Durch das Aussterben der Sprache drohe der Volksgruppe ein enormer Verlust an Identität.

„Ich bin nicht stolz darauf, muss aber zugeben, dass ich die Sprache nur aus Spaß und vor allem dann verwende, wenn ich meine Herkunft glaubhaft dokumentieren will“, resümiert Peter Kogoj. „Meine fünf Kinder haben das Windische nie ernst genommen. Wenn ich etwa ,Daj mi Schraubenzieha‘ sagte, gab es nur Gelächter.“ Wie viele den Dialekt noch beherrschen, vermag keiner zu sagen. Es dürften nicht mehr als 10.000 sein.

„Ja, das Windische stirbt aus“, sagt die 89-jährige Elsa Kogoj, die ihre acht Kinder am Wegl-Hof in Lobnig/Lobnik aufgezogen hat. Das sei sehr schade, denn Schriftslowenisch spreche kaum jemand im Ort. Andreas, der älteste Sohn und Hoferbe, sieht das anders: „Mir is egal, ob ana Slowenisch redt oder Deitsch, mia sein olle Karntna.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2011)

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