Nach dem Unglück in Japan ist die Debatte über Atomkraft neu entbrannt. Die Opposition fordert einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Kernenergie.
Berlin. Die Atomkatastrophe in Japan hat die Debatte über Kernkraft in Deutschland wieder aufflammen lassen. Bereits im vergangenen Herbst hatte die Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre durch die schwarz-gelbe Regierung zu massiven Protesten geführt. Nun fordert die Opposition deren Rücknahme und einen schnellen Ausstieg aus der Kernkraft, auch aus der Koalition kommen Rufe nach einer Neubewertung der Atompolitik.
Aufgerüttelt durch die Havarie in Japan, bildeten am Wochenende knapp 60.000 Personen eine Menschenkette vom Reaktor Neckarwestheim bis nach Stuttgart, um gegen die Atompolitik der Regierungen in Berlin sowie in Baden-Württemberg zu protestieren. „Wer Laufzeiten verlängert, verkürzt seine Regierungszeit“, so einer der Organisatoren. Die Proteste kommen für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren Parteikollegen Stefan Mappus, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, zwei Wochen vor den dortigen Landtagswahlen zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
Als Konsequenz aus dem japanischen Vorfall kündigt Merkel die Überprüfung der Sicherheitsstandards in allen deutschen Atomkraftwerken an. Wenn auch in einem solch hoch entwickelten Land wie Japan mit höchsten Sicherheitsstandards ein solcher Unfall passiere, könne „auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, erklärte sie nach einem Krisentreffen mit Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP), Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).
Keine Kursänderung
Zwar sei es nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen, dass Deutschland von den Auswirkungen des Unglücks in Japan betroffen sein könnte, und „wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind“; dennoch werde genau verfolgt werden, was die Analyse der Katastrophe ergebe. Westerwelle ergänzte, falls sich in Japan ein Defekt im Kühlsystem des Reaktors bestätigen sollte, wäre zu untersuchen, ob es ähnliche Fehler auch in Deutschland geben könnte. Laut Merkel ist aber jetzt nicht der Moment, um über eine mögliche Änderung der Atompolitik zu sprechen. Für die Bundeskanzlerin ist „der Schutz der Menschen immer oberstes Gebot“, zugleich Atomkraft als Brückentechnologie zu erneuerbaren Energien vertretbar. Sie kündigte ein Sondertreffen der für Sicherheit zuständigen Ministerien von Bund und Ländern an sowie Gespräche mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger.
Umweltminister Röttgen wertete die Katastrophe in Japan als eine „Zäsur“, die grundsätzliche Fragen zur Beherrschbarkeit der Atomtechnik aufwerfe. Der Debatte dürfe nicht ausgewichen werden. Atomkraft sei ein Auslaufmodell: „Dass wir davon weg wollen, ist klar“ – es stelle sich aber die Frage nach Weg und Geschwindigkeit. Röttgen hatte eine nur moderate Laufzeitverlängerung befürwortet, sich damit in der Koalition aber nicht durchsetzen können.
Grüne fordern Krisengipfel
SPD und Grüne wollen zwar nach eigenem Bekunden aus dem Beben keinen tagespolitischen Profit schlagen, erneuerten aber die Forderung nach schnellen Atomausstieg. Grünen-Chef Cem Özdemir drängte die Kanzlerin, einen Atomgipfel mit allen Parteispitzen einzuberufen. Schwarz-Gelb müsse einsehen, „dass die Atomtechnologie mit Risiken hantiert, die alles menschliche Maß übersteigen“. Auch die SPD bekräftige ihre „ablehnende Haltung“ zur Atomenergie. Rot-Grün hatte 2000 mit den Energiekonzernen den Ausstieg bis etwa 2025 vereinbart, Schwarz-Gelb kippte den „Atomkonsens“ im Vorjahr wieder.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. März 2011)