Die deutsche Koalition reagiert auf die Katastrophe in Japan: Die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wird für drei Monate ausgesetzt. Bayerns Innenminister will das AKW Isar I abschalten.
Als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan will die deutsche Bundesregierung einige ältere Atomkraftwerke zumindest vorübergehend sofort abschalten lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kündigten am Montag in Berlin an, dass die im vorigen Jahr von der schwarz-gelben Koalition in Deutschland durchgesetzte Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate ausgesetzt wird.
Auf die Frage, ob damit Atomkraftwerke vom Netz müssten, die ihre Reststrommengen nach dem alten rot-grünen Ausstiegsbeschluss bereits aufgebraucht hätten, sagte Merkel: "Das wäre die Konsequenz, ja. Sonst wäre es ja kein Moratorium". Zum Zeitpunkt sagte die Kanzlerin: "Ich würde mal sagen, wenn wir mit den Kernkraftwerks-Betreibern gesprochen haben."
Dies betrifft das Kraftwerk Bilis A in Hessen und das AKW Neckarwestheim I in Baden-Württemberg.
Bayern: Isar I soll abgeschaltet werden
Auch das bayerische AKW Isar I dürfte abgeschaltet werden. Das sagte Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) nach Angaben informierter Kreise am Montag bei einer Telefon-Besprechung des CSU-Präsidiums. Isar I liegt keine 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt.
Westerwelle sagte: "Das Moratorium ist keine Vertagung, sondern das ändert die Lage." Der Vizekanzler betonte, die Regierung habe bei der Laufzeitenverlängerung keine Garantie für den Weiterbetrieb jedes einzelnen Atomkraftwerks gegeben. Merkel nannte keine Atommeiler, die nun womöglich vom Netz müssten. Infrage kämen dafür die beiden ältesten Atomkraftwerke: Biblis A in Hessen und Neckarwestheim I in Baden-Württemberg. Für die Inkraftsetzung des Moratoriums muss das Gesetz laut Merkel nicht geändert werden.
"Es gibt bei dieser Sicherheitsprüfung keine Tabus", sagte Westerwelle. Deutschland könne aber noch nicht auf die Atomkraft verzichten. Die im Durchschnitt 12 Jahre längeren Laufzeiten waren erst im Herbst beschlossen worden.
Die Katastrophe in Japan hatte im besonders atomkritischen Deutschland seit dem Wochenende für beträchtlicher Unruhe gesorgt. In dem Land gibt es seit Jahrzehnten eine starke Anti-Atombewegung. Die jetzigen Oppositionsparteien SPD und Grüne hatten im Jahr 2000 einen Atomausstieg durchgesetzt. Danach sollte jeder Reaktor nur noch eine Strommenge produzieren dürfen, die einer Gesamtlaufzeit von 32 Jahren entspricht.
Die ältesten der noch 17 deutschen Kernkraftwerke hätten daher schon abgeschaltet werden müssen, wenn Merkels seit 2009 regierende christlich-liberale Koalition das Atomgesetz nicht wieder geändert hätte. Die Änderung mit den längeren Laufzeiten trat zum Jahresbeginn in Kraft, gegen sie ist aber eine Klage mehrerer SPD-geführter Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Das Atomthema spielt jetzt auch in den Wahlkampf hinein. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden am 27. März neue Landtage gewählt.
Umweltminister Norbert Röttgen forderte, ohne Tabus über einen "nationalen Konsens" zu reden und neue Annahmen zu treffen. Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner schloss im Deutschlandfunk ein Abschalten von Meilern vor der Landtagswahl am 27. März nicht mehr aus. In Baden-Württemberg sollten die Fachleute bereits am Montag mit dem Sicherheitscheck beginnen.
SPD und Grüne fordern schnellen Ausstieg
Die SPD-Spitze bekräftigte ihre Forderung nach einem schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte mehr konkrete Schritte für die Sicherheit der Kraftwerke. "Das Schlimmste, was Frau Merkel und Herr Röttgen getan haben, war die Absenkung der Mindeststandards in den Kernkraftwerken", sagte er in Mainz.
Grünen-Chefin Claudia Roth sagte dem Bayerischen Rundfunk: "Kein Reaktor ist sicher bei Kernschmelze, auch kein deutscher Reaktor ist sicher. Und das hat gar nichts mit einem Erdbeben zu tun." Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin warf Merkel im Sender NDR Info bei der Atomdebatte "ein erbärmliches Spiel auf Zeit" vor.
(Ag.)