Wie ein ganzes Land (über-)reagiert

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Die in Österreich verfügbaren Jodtabletten sind abgelaufen - seit zwei Jahren. Sondersitzung im Nationalrat anberaumt.

Wien/Duö/Apa. Zwar trennen Wien und Tokio über 9000Kilometer, die Unsicherheit über eine mögliche Atomkatastrophe erreicht mittlerweile aber auch Österreich. Der Umgang damit nimmt bisweilen skurrile Formen an: Apotheken geben abgelaufene Jodtabletten aus, auf dem Flughafen Schwechat werden Passagiere auf Strahlungen überprüft – und der Nationalrat hat eine Sondersitzung anberaumt.

Bereits seit einigen Tagen verzeichnen Apotheken eine verstärkte Nachfrage nach Kaliumjodidtabletten; sie sind zwar in ausreichender Menge vorhanden, aber größtenteils seit 2009 abgelaufen. Seither seien die Bestände regelmäßig überprüft (zuletzt heuer im Jänner) und die Laufzeit verlängert worden, sagt Marcus Müllner von der Österreichischen Agentur für Gesundheit- und Ernährungssicherheit (Ages). Auch vom Gesundheitsministerium und der Apothekerkammer wird bestärkt, dass die Tabletten noch „in Ordnung“ seien. Die neuerliche Laufzeit gilt bis Ende 2011, dann wird der Bestand nach einer Kontrolle entweder ausgetauscht oder wieder verlängert. Zurzeit hielten Apotheken, Spitäler, Ärzte und Schulen einen Bestand von sechs Millionen Packungen à zehn Stück; zudem gebe es noch eine Bundesreserve von 400.000 Tabletten, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Die Apothekerkammer hat den Apotheken mittlerweile ausdrücklich empfohlen, die Tabletten nicht herauszugeben. Nur Risikogruppen (Schwangere und Kinder unter 18 Jahren) können sie gratis abholen, obwohl hier darauf hingewiesen wird, dass die Einnahme derzeit nicht nur keine prophylaktische Wirkung hat, sondern sogar schädlich sein kann.

Strahlenuntersuchung auf dem Flughafen

Die Atomdebatte ist auch im Nationalrat angekommen. Gestern, Mittwoch, haben die Klubobmänner von SPÖ (Josef Cap) und ÖVP (Karl-Heinz Kopf) zu einer gemeinsamen Sondersitzung des Nationalrates eingeladen (einen genauen Termin gibt es noch nicht). In der Sitzung solle „ohne parteipolitisches Kalkül“ diskutiert werden, „welche Konsequenzen sich aus der japanischen Nuklearkatastrophe für Österreich ergeben“, heißt es in der gemeinsamen Aussendung.

Auf dem Flughafen Wien in Schwechat werden indessen Strahlenuntersuchungen von Passagieren durchgeführt, die aus Japan kommen. Auf die Frage, ob die Maßnahme etwas bringe, antwortet Strahlenmediziner Franz Kainberger (Uni Wien): „Nein, es ist eine aus übermäßiger Sorge wohl verständliche, aber aus fachlichen Überlegungen überzogene Aktion.“ Allein aufgrund der Tatsache, dass die Radioaktivität in Tokio relativ gering ist, scheint es zurzeit nahezu unmöglich, dass Passagiere aus Japan verstrahlt seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2011)

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