Front National auf der Überholspur

(c) AP (Andrew Medichini)
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Dreizehn Monate vor der Präsidentschaftswahl 2012 in Frankreich, werden die Departementswahlen zum großen Stimmungstest. Lokalaugenschein in einer Hochburg der extremen Rechten.

Hénin-Beaumont. Alle paar Meter hupt ein Auto, Fahrer und Beifahrer winken. Der Gruß gilt Steeve Briois, der im Zentrum von Hénin-Beaumont mit einer kleinen Eskorte auf Wahlkampagne ist. Der Kandidat strahlt, denn genau das wollte er dem Besucher vorführen: Alle kennen ihn hier, er ist schon fast ein Prominenter, auf den die Leute stolz sind.

„Guten Tag, ich bin Steeve Briois vom Front National“, sagt er dennoch jedes Mal zu den Passanten, denen er sein Flugblatt für die Departementswahlen an den kommenden zwei Sonntagen in die Hand drückt. Niemand pöbelt ihn an oder beschimpft ihn als Faschisten. Vor einigen Wochen wurde er aber von einem Unbekannten krankenhausreif geschlagen. Aus politischen Motiven, vermutet er. Man habe den Angreifer aber „nie ernsthaft gesucht“, klagt Briois, der nun für seine Partei zu einer Art Märtyrer geworden ist.

Schimpfen auf „Sozialistenmafia“

Ein Arbeitsloser schimpft, die Fürsorgegelder würden an die Falschen verteilt. Für Leute, die wie er lange ihren Lebensunterhalt ehrlich verdient hätten, seien dann die Kassen leer. „Das ist kein Wunder bei den Leuten, die uns in Paris regieren“, bestätigt Briois.

Und in Hénin könne man ja von dieser „Sozialistenmafia“ im Rathaus nichts Besseres erwarten. Das ist sein Lieblingsthema – und sein Trumpf: Der frühere sozialistische Bürgermeister Gérard Dalongeville wurde nämlich auf Beschluss des Pariser Ministerrats wegen Misswirtschaft abgesetzt – ein höchst seltener Vorgang. Seit 2009 sitzt er wegen Korruption, Veruntreuung und Betrugs in Untersuchungshaft. Dass jetzt die Justiz für Ordnung sorge, sei seiner Partei zu verdanken, die Klage eingereicht hat, behauptet Briois.

Verpasst Sarkozy die Stichwahl?

Arbeiterkinder wie er standen traditionell meist links, er aber habe sich schon mit 15 der Partei von Jean-Marie Le Pen angeschlossen, erzählt Briois stolz. Heute ist er 38, ein Star der extremen Rechten und Generalsekretär des Front National.

In dem von Krise und Produktionsverlagerungen schwer getroffenen Industriestädtchen südlich von Lille hat Marine Le Pen ihren Eroberungsfeldzug gestartet, der ihr zuerst den Parteivorsitz als Nachfolgerin ihres Vaters eingebracht hat und dann eine Popularität, die die anderen Parteien immer mehr das Fürchten lehrt. Hier hat sie auch ihren derzeitigen Sitz im Europaparlament erobert.

Laut mehreren Umfragen hat die neue FN-Chefin reelle Aussichten, bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2012 in die Stichwahl zu kommen und dabei womöglich den Finaleinzug des jetzigen Staatspräsidenten zu verhindern. „Sarkozy kann jetzt sagen oder machen, was er will, die Leute glauben ihm nicht mehr. Wenn er seine Islam-Debatte beginnen will, ist das ein Geschenk für uns. Schließlich kommen die Themen mit den Minaretten und den Gebeten auf der Straße samt und sonders von uns“, freut sich Briois.

Und jede Entlassung oder Betriebsstilllegung in der Gegend sei Wasser auf seine Mühlen. Gegen die Globalisierung und die unkontrollierte Immigration müsse Frankreich wieder Grenzen errichten, Zölle einheben und aus der Eurozone austreten, um seine volle Souveränität wiederzuerlangen. Würde das Frankreich nicht mehr schaden als nutzen? „Meinen Sie, es könne schlimmer werden als jetzt?“ , fragt Briois zurück.

Angst in Pariser Parteizentralen

Er ist sich sicher, in die Stichwahl am übernächsten Sonntag zu gelangen. Vielleicht könnte der FN dann sogar seinen ersten Sitz in einer Departementsversammlung erringen. Normalerweise interessieren diese Departementswahlen, bei denen jetzt turnusmäßig in der Hälfte der Wahlkreise die Generalräte erneuert werden, kaum. Dreizehn Monate vor der Präsidentschaftswahl aber werden sie zum Stimmungstest, bei dem man in den Pariser Parteizentralen bange vor allem auf den Wahlkreis Hénin-Beaumont schielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18. März 2011)

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