Kulturwissenschaft: Verbreiten Japans Medien verbales Opium?

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Manipulieren japanische Medien die Bevölkerung mit einlullenden Berichten? Wollen sie die Wogen glätten? Im Land der Katastrophe wird anders berichtet. Domenig, Japanologe der Uni Wien, erklärt die Unterschiede.

Manipulieren japanische Medien die Bevölkerung mit einer einlullenden Berichterstattung? Wird die ohnehin schon bildhafte und oft mehrdeutige japanische Sprache benutzt, um die Wogen zu glätten und die Menschen in der für uns so fremd wirkenden viel zitierten stoischen Ruhe zu halten? „Die großen überregionalen Tageszeitungen berichten seriös, nüchtern, rasch, aber unaufgeregt“, so Roland Domenig vom Institut für Ostasienwissenschaften und Japanologie der Universität Wien. „Man stellt keine Spekulationen an, sondern die Qualitätsmedien in Japan veröffentlichen nur wirklich fundierte Fakten, aber detailliert und in einer neutralen Sprache, die weder übertreibt noch verharmlost.“ Berichtet wird nur von als gesichert geltenden Todesopfern, und hier werde sehr genau gearbeitet. „Begriffe wie ,Todeszone‘ oder ,radioaktive Wolke‘, die in westlichen Medien präsent sind und im eigentlichen Sinne keinen Informationswert besitzen, finden sich nicht in den japanischen Medien, dafür wird der Fokus auf aktuelle Daten sowie ausführliche und leicht verständliche Grafiken gerichtet.“

Austauschstudenten beruhigen ihre Eltern

„Austauschstudenten, die nach Wien zurückkehren, müssen ihre Eltern oft beruhigen“, erzählt Domenig. „Sie besitzen meist höheres Detailwissen und sind trotzdem oder gerade deswegen weniger aufgeregt.“ Viele der Studenten meinen, die Panikstimmung ihrer Familie wäre am Ort des Geschehens gar nicht aufgekommen.

„Es gibt aber schon auch Medien, die emotionalisierter berichten. Diese richten ihr Hauptaugenmerk allerdings weniger auf die Atomreaktoren, sondern erzählen eher von Einzelschicksalen, die sich vor dem Hintergrund des Erdbebens selbst und des darauffolgenden Tsunamis abspielen.“ Auch die junge, mit Comics, Tamagotchis und den elektronischen Medien aufgewachsene Generation widmet sich in Blogs und Foren im Internet der Aufarbeitung von Ereignissen. Dabei wird dann sehr wohl übertrieben oder plakativer dargestellt – typisch jugendlich, meinen dazu die Älteren. Domenig räumt ein, dass die japanische Sprache allgemein in ihren Formulierungen viel Unbestimmtes beinhalte. In manchen Aussagen meinen Beobachter eine gewisse Unschärfe zu erkennen. Man meint, dass nicht immer alles auf den Punkt gebracht werde. Dies liege aber an der japanischen Sprachverwendung im Allgemeinen und betreffe nicht die aktuelle Berichterstattung im Besonderen. Bewusste Manipulation sei hier nicht zu verorten. So verstünden die Japaner ganz genau, was gemeint ist, wenn sie Formulierungen hören, wie „Man bemüht sich darum...“, „Es scheint so...“, „Dem Informationsstand zufolge...“, während solche Floskeln für uns schwammig und verklärend wirken mögen.

Domenig erklärt es an einem Beispiel: „Wenn ein Japaner hört, dass ,noch große Anstrengungen unternommen werden müssen‘, so weiß er genau, dass in der betreffenden Situation eine gewisse Unsicherheit herrscht. Nur für uns, die nicht wie Japaner bereits im Kindergarten darauf vorbereitet werden, wie man sich bei Erdbeben und Tsunamis verhält und dass die Voraussetzung für ein erfolgreiches Katastrophenmanagement eine gewisse Ruhe und Gelassenheit gepaart mit einer großen Portion Disziplin ist, wirken solche Aussagen zweideutig.“ Ein Japaner hört eindeutig heraus: keine Panik, aber auch kein Aufatmen – abwarten und aufmerksam die Situation verfolgen. Genau das ist die Stimmung, die wir seit über einer Woche im Reich der aufgehenden Sonne mitverfolgen.

Zur Person

Roland Domenig, geb. 1966 in Wien, ist Universitätsassistent am Institut für Ostasienwissenschaften/Japanologie der Universität Wien sowie Öffentlichkeits- und Sammlungsbeauftragter.

Seine Forschungsschwerpunkte sind Filmgeschichte, Populärkultur und Freizeitforschung. Er ist seit 1999 Präsident der Österreichischen Japangesellschaft für Wissenschaft und Kunst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2011)

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