Die Auferstehung des Westens

Mit dem Beginn des Militäreinsatzes gegen Gaddafi ist eine schon vergessen geglaubte Idee auf die Weltbühne zurückgekehrt: die der universellen Gültigkeit von Menschenrechten.

Die Rede, die Nicolas Sarkozy am Samstagnachmittag aus Anlass des Eindringens französischer Kampfflugzeuge in den libyschen Luftraum hielt, war ein Lebenszeichen dessen, was man früher einmal den „Westen“ nannte. Dasselbe kann man von der UNO-Resolution sagen, die von Muammar al-Gaddafi einen sofortigen Waffenstillstand fordert und der Staatengemeinschaft die Anwendung aller notwendigen Mittel zur Durchsetzung einer Flugverbotszone erlaubt. Aus beiden Dokumenten spricht die Überzeugung, dass die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht hat, das libysche Volk vor seinem Diktator zu schützen. Man müsse, sagte Nicolas Sarkozy, sicherstellen, dass das libysche Volk frei über sein Schicksal entscheiden kann.

Man wird sehen, ob am Ende des gestern begonnenen Militäreinsatzes tatsächlich ein freies Libyen steht. Und es ist noch nicht ausgemacht, dass der hohe, von revolutionärem Pathos getragene Ton, den Frankreichs Präsident angeschlagen hat, in die pragmatische Alltagssprache der internationalen Diplomatie übersetzt werden kann. Aber es tat einfach gut, einen europäischen Staatschef zu hören, der sich nicht scheut, die Freiheit als Wert von universaler Gültigkeit anzusprechen.

Die Letzten, die das taten, waren die viel geschmähten amerikanischen „Neocons“, die George W. Bushs engsten Beraterkreis dominierten. Sie waren von einer Politik überzeugt, die man „Menschenrechtsimperialismus“ nennen könnte. Ihrer Meinung nach ist das „westliche“ Modell von Marktwirtschaft und liberaler Demokratie nicht nur allen anderen Formen gesellschaftlich-politischer Organisation überlegen. Sie sehen darin auch die einzige Möglichkeit, den Menschenrechten weltweit zum Durchbruch zu verhelfen – notfalls durch „regime changes“ unter Anwendung militärischer Gewalt.

Die schlecht geplanten und halbherzig angelegten Interventionen im Irak und in Afghanistan als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 haben das Modell diskreditiert und zu einer großen Welle des Antiamerikanismus geführt. Die China-Bewunderer, Saddam-Versteher und Gaddafi-Kumpel beherrschten die Szene, Demokratie und Menschenrechte wurden als eine Art ästhetische Präferenz europäischer Wohlfahrtsstaaten gesehen.

Mit dem Einsatz gegen den libyschen Diktator ist das Thema zumindest wieder auf der Tagesordnung. Umso mehr muss man sich wundern, dass sich etwa Deutschland im Sicherheitsrat gemeinsam mit China und Russland der Stimme enthielt und, anders als die beiden, auch noch einen Extra-Vorbehalt formulierte. Deutsche Soldaten dürften nicht in einen Bürgerkrieg in Libyen verwickelt werden, erklärte Außenminister Guido Westerwelle.

Der Libyen-Einsatz könnte so etwas wie eine Auferstehung des Westens sein. Nur die Deutschen bleiben im innenpolitischen Grab liegen. Mögen sie sanft ruhen.

michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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