Der Kernreaktor im Wiener Prater

Kernreaktor Wiener Prater
Kernreaktor Wiener Prater(c) AP (THOMAS KIENZLE)
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Neben Kleingartenhäusern mit Poolsteht Österreichs einziger Kernreaktor. Statt elektrischen Strom produziert er Wissen für die Forscher des Atominstituts.

Bitte tragen Sie das hier zum Messen der Radioaktivität, der Sie hier ausgesetzt sind.“ Nachdenkpause. Dann beendet der große, hagere Mann die Schrecksekunde mit einem breiten Lächeln. „Und wenn Sie uns wieder verlassen, würde es mich sehr wundern, wenn das Dosimeter, das wir hier alle tragen, einen anderen Wert als null anzeigen würde.“ Auch in der Reaktorhalle? „Ja, auch dort.“

Dort, das ist der schmucklose Zweckbau des österreichischen Atominstituts im Wiener Prater. Tür an Tür mit den Häusern der angrenzenden Kleingartensiedlung steht der einzige Kernreaktor des Landes. Ein Forschungsreaktor, wohlgemerkt, mit dessen Hilfe Wissenschaftler wie Georg Steinhauser versuchen, der Welt der Atome ihre Geheimnisse zu entlocken. Das so erarbeitete Wissen ist derzeit gefragt wie noch nie. Im Stundentakt gibt der 32-Jährige, der gemeinsam mit einem weiteren Kollegen für den Betrieb des Kernreaktors verantwortlich ist, Interviews, tritt in der Früh-, Mittags- und Spät-„ZiB“ auf, versucht in Live-Diskussionssendungen die Behauptungen von Anti-Atom-Aktivisten zu relativieren. „Vieles, was Politiker und Medien derzeit von sich geben, ist hysterische Panikmache.“

Das bekommt der junge Spitzenforscher zuweilen auch am eigenen Leib zu spüren. Erst Mitte vergangener Woche wurde seinem Institut von einem Boulevardblatt so etwas wie die öffentliche Hinrichtung in Aussicht gestellt. Die befürchtete Schlagzeile vom „Schrottreaktor mitten in Wien“ blieb – zumindest bisher – aus.

Gerechtfertigt wäre sie nicht, sagt Steinhauser, und öffnet die Tür in eine schwül-warme Halle, in deren Zentrum ein ockerfarbener Betonturm steht. Ja, das ist er, der Triga-Mark-II- Forschungsreaktor, den findige Journalisten demnächst womöglich als atomare Bedrohung für die Hauptstadt präsentieren werden. Seit 49 Jahren steht er am Ufer des Donaukanals. Der Blick aufs Dosimeter ist beruhigend: null Mikrosievert. Der Herr des Reaktors grinst. „Er ist nicht in Betrieb.“

An 220 Tagen im Jahr ist das anders. Dann zerfallen die Urankerne der Brennelemente unter der Aufsicht von Forschern und Studenten buchstäblich in ihre Einzelteile. Unter anderem zum Zweck der Materialforschung. Wie reagiert die eine Substanz auf Neutronenstrahlung? Wie funktioniert eine andere als Absorber? Nebenbei stellt das Gerät radioaktive Isotope u.a. für den medizinischen Einsatz her. Eine Gefahr für die Umgebung, sagt das Atominstitut, besteht nicht. Ehrlich?

„Ehrlich!“, versichert Steinhauser. Einmal im Jahr erscheint die Atomenergiebehörde der UNO zum Kontrollbesuch. Während des Betriebs herrscht in der ganzen Halle Unterdruck. Sollten tatsächlich strahlende Teilchen entweichen, würden sie das Gebäude nicht verlassen. Explosionen und enorme Hitze können konstruktionsbedingt nicht entstehen. Im Betrieb wird das Wasser um die Brennstäbe gerade einmal 35 Grad warm. Der Reaktor im Prater muss keine schwergewichtigen Generatoren antreiben, der Uranverbrauch beträgt zwei bis drei Gramm jährlich. Die riesigen Maschinen von Fukushima & Co. setzen im gleichen Zeitraum eine Tonne und mehr um.

Dank des Reaktors im Haus ist das Atominstitut das letzte Kompetenzzentrem für Nukleartechnik im Land (siehe auch Seite 23). Die Anlagen von Graz und Seibersdorf stehen aus Kostengründen seit Jahren still. Sogar die Atommacht Großbritannien schickt inzwischen Forscher nach Wien, weil das Königreich über keinen zivilen Forschungsreaktor verfügt. Dieses Wissen setzen die Mitarbeiter der Einrichtung nun gezielt zur Stärkung der eigenen Position ein. „Jahrelang hat man uns ignoriert, jetzt ist plötzlich unsere Expertise gefragt“, sagt Steinhauser.

Er nutzt sie weidlich. In gewissem Sinn sieht sich der gelernte Chemiker dieser Tage auf einer Mission der Aufklärung. Die Menschen, sagt er, haben Angst. Manchmal seien diese Ängste begründet, manchmal nicht. Jede Technologie berge Risken und Möglichkeiten. „Und nein, ich bin nicht explizit für Atomkraft, sehe sie aber derzeit noch als notwendigen Teil eines cleveren Energiemix.“ Wobei: Viel lieber als über Stromgewinnung spricht Steinhauser über die wissenschaftlichen Möglichkeiten der Atomphysik. Kluge Köpfe seien mithilfe von Forschungsreaktoren drauf und dran, das Geheimnis der Schwerkraft zu enthüllen.

Umso mehr ärgert es ihn deshalb, dass derzeit eine ganze Technologie mit marktschreierischen Überschriften wie „Atom-Hölle“ und „Apokalypse“ gebrandmarkt werde. „Mir scheint, manche Journalisten sehnen den viel zitierten Super-GAU im Sinn einer knalligen Schlagzeile geradezu herbei.“ Nicht überall, wo „Atom“ draufstehe, sei automatisch der Tod drin. Zum Beweis kramt er in einem Schrank und überreicht dem Autor ein silbergraues, in Plastik eingeschweißtes Plättchen aus Metall. „Das hier ist Roh-Uran.“

Die Gefährlichkeit von Radioaktivität hängt immer von der Dosis ab. Und von der diffusen Angst davor – auch die kann nämlich krankmachen. So war die Strahlendosis, die vor 25 Jahren nach dem Tschernobyl-Unglück auf jeden Österreicher einwirkte, nicht höher als jene, die man bei zehn Flügen zwischen Wien und New York absorbiert. Aber das, sagt Steinhauser, wolle dieser Tage niemand hören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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