Osteuropa setzt weiter auf Atomkraft

Osteuropa setzt weiter Atomkraft
Osteuropa setzt weiter Atomkraft(c) APA/S.E. (S.E.)
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Die neuen EU-Staaten haben die jüngsten AKW der Welt. Weil die Mehrheit der Bevölkerung nichts dagegen hat, wollen Regierungschefs ihren Ausbau vorantreiben.

Wien/Mar. Falls die EU als Reaktion auf die Katastrophen in Japan die Sicherheitsstandards europäischer Atomkraftwerke massiv verschärfen würde, können die neuen EU-Mitglieder auf einen Vorteil verweisen: Das durchschnittliche Alter ihrer AKW ist so niedrig wie nirgendwo sonst in der Welt.

Betrachtet man das Alter der aktiven Meiler nach Regionen, landen die USA und Kanada abgeschlagen auf dem letzten Platz. Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg anhand von Daten des Industrieverbands World Nuclear Association sind die AKW in Nordamerika im Schnitt knapp 30Jahre alt. An zweiter Stelle steht Westeuropa mit 27Jahren Laufzeit. Weil die Nutzung der Atomkraft in Asien, Lateinamerika und Osteuropa vergleichsweise jung ist, sind auch die Meiler in diesen Regionen deutlich jünger. In den osteuropäischen EU-Staaten beträgt die bisherige Laufzeit durchschnittlich 19Jahre.

Das liegt daran, dass die neuen EU-Mitgliedstaaten bereits vor ihrem EU-Beitritt 2004 einige ihrer ältesten AKW abgeschaltet haben. So starteten die sechs tschechischen Reaktoren an den Standorten Dukovany und Temelin ihren Betrieb zwischen 1985 und 2002 – im Vergleich zum Betriebsstart des Katastrophenreaktors FukushimaI im Jahr 1971. Die Technologie der tschechischen AKW stammt allerdings aus der Sowjetunion. Auch die Slowakei hat ihre zwei ältesten Reaktoren 2006 und 2008 abgeschaltet, nutzt jedoch an den Standorten Bohunice und Mochovce weiter sowjetische Technologie.

Bei der Frage, ob man nach den Ereignissen in Japan noch Atomenergie nutzen soll, reagieren Politiker und die Öffentlichkeit in Osteuropa teilweise ganz anders als jene in Teilen Westeuropas. So wurde in Deutschland der Druck der Öffentlichkeit so groß, dass die Regierung darauf mit der Abkehr von ihrer bisherigen Linie reagierte und derzeit sieben Meiler vom Netz nehmen lässt.

Abhängigkeit von Russland steigt

Nicht so die Staatschefs zwischen Warschau und Budapest. Zwar gibt es auch hier Anzeichen einer Umkehr. „Bauen oder nicht? Vor wenigen Tagen wäre das eine rhetorische Frage“, schreibt die polnische Zeitung „Rzeczpospolita“, doch Japan „könnte die Situation umdrehen“. Während sich jedoch Gegner und Befürworter erbitterte Debatten lieferten, deute nichts darauf hin, dass auch Regierungschef Donald Tusk seine „nuklearen Ambitionen“ fallen lassen würde.

Tatsächlich kann sich Tusk auf die Meinung der „schweigenden Mehrheit“ verlassen. Während es in Deutschland und Österreich spätestens seit den 1970er-Jahren eine starke Gegenöffentlichkeit zu den Befürwortern der Technologie gibt, ist das in den neuen EU-Staaten nicht der Fall. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Slowakei, in Tschechien, Bulgarien und Rumänien hat die bisherige Strategie nicht hinterfragt, entsprechend können Regierungen ihre bisherigen AKW-Pläne ungestört vorantreiben.

Warschau hält beispielsweise unbeirrt am Bau des ersten AKW in Nordpolen fest. In einem Interview erklärte Regierungssprecher Paweł Graś, er sei sicher, dass auch die Mehrheit der Polen die Einführung der Atomkraft wolle. Und Tusk meinte vor wenigen Tagen, man werde bei neuen AKW „die höchsten Sicherheitsstandards“ einhalten – und bauen. Damit stimmt die polnische Regierung unter anderem mit der slowenischen überein, die weiterhin das AKW Krško ausbauen will – obwohl der Standort als erdbebengefährdet gilt.

Befürworter argumentieren oft mit einer höheren Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und von der Energie aus dem Ausland. Die „New York Times“ hält dagegen, dass auf die neuen EU-Staaten mit dem AKW-Bau nicht nur hohe Kosten zukommen, sondern eine wachsende Abhängigkeit von Russland – wegen der Technologie und der Uranlieferungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2011)

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