„Wenn Du Deine Kirche liebst, warum lebst Du dann nicht so...?“

Offener Brief an den wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs zurückgetretenen Salzburger Domprediger Dr. Peter Hofer.

Gastkommentar

Lieber Peter,

es müssen wohl dreißig Jahre sein, dass wir uns kennen – und trotzdem glaube ich nach dem „Profil“-Interview Susanne P., die Dich des sexuellen Missbrauchs beschuldigt, mehr als Dir, obwohl ich sie nie gesehen habe. Und zwar deswegen, weil sie Klartext redet, während von Dir immer nur jämmerliches Geschwätz zu hören war:

Deine Ämter hast Du „aus Liebe zur Kirche“ zurückgelegt – während gleichzeitig die Diözese verlauten ließ, sie leite Untersuchungen gegen Dich ein; wenige Tage davor, als davon noch nicht die Rede war, warst Du fest entschlossen zu bleiben. Du hast Deine Ämter wohl eher unter Druck zurückgelegt und, weil Dir nichts anderes mehr übrig blieb.

Ich glaube, Du bist ein „Wahrheitströpfler“ – einer, der tröpferlweise zugibt, was sich nicht mehr leugnen lässt. Und wie angenehm wäre es, wenn Du einmal von Dir selbst sprechen würdest und das fromme Geschwafel von der Liebe zur Kirche bleiben ließest? Wenn Du Deine Kirche so liebst, warum lebst Du dann nicht so, wie sie es Dir vorschreibt? Oder trittst laut gegen diesen Zwang auf? Aber das wäre halt karriereschädigend.

Systemerhaltender Priesterstar

Jeder, der Dich kennt, weiß von Deiner jahrzehntelangen Beziehung zu einer Frau. Aber auch jetzt noch, in Deinem 68.Lebensjahr, verleugnest Du sie, weil Du Deine geliebten Rollen als Domprediger, Ehrendomherr und Pfarrer sonst nie mehr spielen könntest. Dabei hast Du diese Frau nicht nur mit Susanne P. hintergangen – auch das weiß jeder, der Dich einigermaßen kennt.

Aber Du bist ja nicht der einzige Priester, für den das Zölibat vor allem bedeutet, nicht nur bei einer Frau zu bleiben. Doch die Herren Bischöfe wissen nichts, hören nichts und sehen nichts (und zahlen im Notfall für die Kinder), wenn ihnen nur ihre Priester nicht davonlaufen. Dankbar bin ich Dir nur für eines: Du hast allen, die sich noch Illusionen machen, wieder einmal gezeigt, was für ein widerliches Pfaffenregime die katholische Kirche doch ist.

Jemand wie ich, der geschieden war und wieder verheiratet ist, darf die Kommunion nicht empfangen. Aber wenn man wie Du als Theologieprofessor und Domprediger zu den systemerhaltenden Priesterstars gehört, bittet man die Gläubigen um Verzeihung für eine sexuelle Beziehung – und schon kann man munter weiterpredigen und Messe feiern.

Moralisch korrumpierte und strategisch verrückte Instanzen der Erzdiözese Salzburg wollten Dich ja im Amt halten, solange nur Aussage gegen Aussage stand (und da glaubt man einem Priester wie Dir natürlich mehr).

Hat es dort niemanden irritiert, dass aus der seelsorglichen Nähe zu einer Jugendlichen eine sexuelle Beziehung wurde (erst hernach und als sie schon achtzehn war, sagst Du, aber wer soll denn das glauben)? Auch wenn nicht alle Details passiert sein sollten, die Susanne P. Dir vorwirft – ist nicht schon das ein Skandal?

Was mich so ankotzt, ist Dein pastoraler Tonfall – gerade auch Frau P. gegenüber. Du klingst ja, als wärst Du noch beim Sex ganz der Seelsorger. Als möchtest Du nach jedem Orgasmus einen Dankchoral singen – oder doch eher einen Bußgesang für die schnuckelige kleine Sünde, die gerade wieder geschehen ist.

Hinter der pastoralen Sanftmut kommt allerdings bei Dir gleich der fiese Untergriff: Frau P. hätte durch ihre Erkrankung eine psychische Veränderung durchgemacht und würde sich jetzt Dinge zusammenfantasieren.

Was besagen die Postkarten?

Ich glaube, dass einem eine lebensbedrohende Erkrankung eher den Mut gibt, die Wahrheit zu sagen. Was bist Du für ein Seelsorger, wenn Du das in mehr als vier Jahrzehnten der Begleitung von Menschen nie erlebt hast? Oder bist Du so infam, das wider besseres Wissen zu unterstellen?

Und was sollen die freundlichen Karten, die Susanne O. an den „lieben Peter“ geschickt hat, als Beweis gegen ihre Anschuldigungen?

Hast Du nicht wenigstens in Biografien gelesen, dass jemand trotz oder gerade durch Misshandlung, Demütigung oder Missbrauch über Jahrzehnte an jemanden gekettet ist? Für mich sind die Postkarten von Frau P. nur ein Indiz dafür, welche wichtige Rolle Du für sie gespielt hast.

Warum mich das so aufwühlt

Warum mich das alles so aufwühlt und warum ich Dir öffentlich schreibe: weil ich selbst vaterlos aufgewachsen bin und meine Ersatzväter zuerst im klerikalen Milieu gefunden habe und ich weiß, dass es mich psychisch umgebracht hätte, wenn ich irgendeine Form von Missbrauch erlebt hätte.

Pfäffische Floskeln

Und weil meine Mutter als Jugendliche einen Missbrauch erleben musste – von einem Priester, der die Kirche auch so glühend geliebt hat wie Du; auch er war ein guter Prediger und sogar Missionar. Erzählt hat sie mir das erst, als die Verbrechen von Kardinal Groër ans Tageslicht gekommen sind und sie schon über 80 Jahre alt war.

Apropos Groër: Bis jetzt war ich mit Missbrauchsgeschichten konfrontiert, die von reaktionären Finsterlingen wie Groër ausgingen oder in Klöstern und katholischen Internaten stattfanden – Milieus, die mir fremd sind oder die ich hassen gelernt habe.

Mit Dir ist das Thema in jenem reformkatholischen Milieu angekommen, aus dem ich selbst stamme. Vor Jahrzehnten habe ich geglaubt, mit Dir im selben Boot zu sitzen, was die Arbeit für einen weltoffeneren Katholizismus und eine offene intellektuelle Auseinandersetzung in der katholischen Kirche betrifft.

Jetzt sehe ich, wie (für Dich!) problemlos Du Kirchenkarriere und ihr widersprechendes Sexualleben vereinbaren kannst, und mit welchen pfäffischen Floskeln Du Dich gegen eine Frau verteidigst, die das anders erlebt hat.

Ja, ich glaube Susanne P. mehr als Dir. Aber komm mir jetzt nur ja nicht mit der Keule von der „Vorverurteilung“. Gerade in Österreich, wo man sich in der medialen Berichterstattung sowieso schon daran gewöhnt hat, dass ständig für irgendjemanden die Unschuldsvermutung gilt, gilt sie natürlich auch für Dich.

Seelsorge und Intimität

Darum sage ich noch einmal: Auch wenn nicht alle Vorwürfe von Susanne P. stimmen sollten – mir ist schon Dein problemloses Ineinanderübergehen von einer seelsorglichen in eine sexuelle Beziehung zutiefst suspekt. Ohne Deine Seelsorgerrolle wärst Du an ein so junges Mädchen gar nicht herangekommen.

Für mich ist ein munterer Pastoralficker, der die Grenzen von Seelsorge und Intimität vermischt und so nicht nur zu seinem Sex kommt, sondern auch die Gefühle einer Frau ausbeutet, weit schlimmer als jeder, der ins Puff geht.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comCornelius Hell (*18.4.1956 in Salzburg) studierte Theologie und Germanistik an der Universität Salzburg; 1980–83 Studienassistent am Institut für Neutestamentliche Theologie der Uni Salzburg, danach Germanistiklektor an der Universität Vilnius und Verlagslektor in Salzburg.

Von 1993 bis 2002 war Hell Generalsekretär des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs, danach bis 2008 Feuilleton-Chef in der Wochenzeitung „Die Furche“. Er lebt als Autor, Übersetzer und Literaturkritiker in Wien. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2011)

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