Atomkraft: Italien beginnt Ausstieg aus Wiedereinstieg

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Die Regierung in Rom verfügt vorerst ein einjähriges Moratorium für den Bau neuer Kernkraftwerke. Die Bevölkerung in Italien ist ohnehin mehrheitlich dagegen. Am 12. und 13. Juni gibt es eine Volksabstimmung.

Rom. 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, fällten die Italiener eine radikale Entscheidung: Als Resultat einer Volksabstimmung stieg das Land aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie aus. Als einzige der großen Industrienationen produziert Italien seither keine Atomenergie mehr. Die drei in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke wurden bis 1990 stillgelegt, die Fertigstellung eines vierten an der Küste nördlich von Rom wurde gestoppt.

Nach Silvio Berlusconis Wiederwahl zum Ministerpräsident im Jahr 2008 beschloss seine Mitte-rechts-Regierung die Rückkehr zur Atomenergie. Doch auch Rom vollzieht nun unter dem Eindruck der neuen Katastrophe in Japan eine 180-Grad-Wende.

Bereits am Dienstag hatte Industrieminister Paolo Romani angekündigt, dass das Kabinett vorerst ein einjähriges Moratorium für die Standortsuche beschließen werde, und so kam es dann auch. Die Regierung wolle sich außerdem bis zu 24 Monate Zeit nehmen, um ihre Atomstrategie neu zu definieren, hieß es nach der gestrigen Sitzung – also bis zum Ende der Legislaturperiode.

Regierung geriet ins Schlingern

Anders als in Deutschland stand nach dem Erdbeben in Japan die Atomfrage in Italien nicht sofort im Mittelpunkt. Doch je dunkler die Wolken über Fukushima wurden, umso mehr geriet die Regierung ins Schlingern mit ihrem bedingungslosen Ja zur Atomkraft. Schon seit Tagen suchte Romano nach einem Ausweg, sprach von einer „notwendigen Denkpause“ in Abstimmung mit anderen EU-Ländern. Diese Denkpause hat sich die Regierung nun verschafft.

Das Moratorium bedeutet aber nicht, dass das Gesetz über die Rückkehr zur Atomenergie aufgehoben ist. Scharf kritisierte die Opposition das Moratorium gestern denn auch als „Schwindel“ und als „Nichtentscheidung“.

Tatsächlich steht hinter dem Sinneswandel Berlusconis, ähnlich wie bei der Berliner Koalition, vor allem die Angst vor dem Unmut der Bevölkerung. Einer neuen Meinungsumfrage zufolge lehnen drei von vier Italienern den Neubau von Atomkraftwerken ab, fast jeder zweite befürchtet negative Folgen für die Umwelt und für die eigene Gesundheit.

Volksabstimmung im Juni

Noch im Mai finden in vielen Orten Italiens Kommunalwahlen statt, und Berlusconi muss fürchten, dass er diese Ablehnung zu spüren bekommt. Den Ausschlag gegeben hat aber wohl, dass für Juni eine neue Volksabstimmung über Atomkraft anberaumt ist, die die Opposition mit einer Unterschriftensammlung erzwungen hat. Vorsorglich hat Berlusconi bereits dafür gesorgt, dass sie getrennt wird von den Kommunalwahlen – in der Hoffnung, dass viele den Tag lieber am Strand verbringen und das notwendige Quorum nicht erfüllt wird. Seit den Ereignissen in Japan aber bekam die Abstimmung neue Brisanz, 70 Prozent der Italiener wollen an dem Referendum teilnehmen.

Am Mittwoch gab die Regierung auch das genaue Datum für die Volksabstimmung bekannt: Sie soll am 12. und 13. Juni stattfinden. Die Italiener werden dann auch über die Privatisierung der Wasserversorgungssysteme und die Abschaffung eines Immunitätsgesetzes abstimmen können.

Pläne für vier neue AKW

Die Regierung plante ursprünglich, 2013 mit dem Bau von vier neuen Atomkraftwerken zu beginnen, das erste sollte bereits 2020 ans Netz gehen. Allerdings ist bis heute nicht bekannt, an welchen Standorten sie errichtet werden sollen, alle infrage kommenden Regionen leisten erbittert Widerstand. Ebenfalls unter dem Eindruck von Fukushima fordert jetzt eine Mehrheit der Italiener den Ausbau von erneuerbaren Energien – genau das aber wurde seit 1987 versäumt.

Italien ist deshalb heute stark abhängig von Energieimporten, die Preise für Strom und Gas gehören zu den höchsten in Europa – das Hauptargument für die Rückkehr zur Atomkraft. Bereits heute stammt ein beträchtlicher Anteil des in Italien verbrauchten Stroms aus Atomkraft, allerdings wird er aus Frankreich importiert. Mit Frankreich hatte Berlusconi 2009 auch ein Abkommen über ein gemeinsames Atomprogramm unterzeichnet. Wie kein anderer westlicher Staatschef hofierte er aber auch den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi. Italien bezieht heute zwölf Prozent seines Erdgases und etwa ein Viertel seines Erdöls aus Libyen.

Hintergrund

Italien plante ursprünglich, 2013 mit dem Bau von vier neuen Atomkraftwerken zu beginnen. Das erste sollte bereits 2020 ans Netz gehen. Allerdings ist bis heute nicht bekannt, wo genau sie errichtet werden sollen, und alle infrage kommenden Regionen leisten Widerstand. Nach der Katastrophe im sowjetischen AKW Tschernobyl im April 1986 gab es in Italien eine Volksabstimmung, mit der der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen wurde. Alle damals aktiven vier AKW Italiens wurden bis 1990 abgeschaltet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2011)

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