Deutschland: Atomthema hilft Grünen

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Bei den Landtagswahlen am Sonntag droht die CDU ihr Stammland zu verlieren, was auch für Bundeskanzlerin Merkel ein herber Schlag wäre. Rot-Grün liegt klar vor Schwarz-Gelb.

Stuttgart. „Mappus weg, Mappus weg“ – laut hallen die Rufe nach einer Abwahl des baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus über den Stuttgarter Schlossplatz. Bei der Abschlussveranstaltung der Grünen vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag herrscht fröhliche Straßenfeststimmung. Auf der Bühne wird getrommelt und gerasselt, bevor sich Spitzenkandidat Winfried Kretschmann an die Menge wendet. „Der Politikwechsel“, so die Überschrift seines Auftritts. „Jetzt!“, lautet der knappe Slogan der Grünen, wie man ihn auf Plakaten und Buttons liest.

Gelb-rote Sticker werden verteilt, auf denen es im Anti-Atomkraft-Design heißt: „Mappus? Nein Danke.“ Abwählen, abschalten, oben bleiben – die Themen, um die es den Grünen geht und die ihnen kurz vor der Wahl noch einmal kräftig Auftrieb geben, sind offensichtlich: Der Atomunfall in Japan bestärkt sie in ihrer Forderung nach einer endgültigen Abschaltung der sieben ältesten deutschen AKW. Die Kehrtwende der Bundesregierung, die zuerst eine Laufzeitverlängerung beschlossen hatte, nun aber ein Moratorium verhängte, wird von der deutschen Bevölkerung als unglaubwürdig empfunden. In Baden-Württemberg mit seinen vier Meilern ganz besonders, zumal Mappus, langjähriger Verfechter der Atomkraft, im Endspurt des Wahlkampfes besonders deutliche Haken schlug.

Auch der Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21, der trotz der Schlichtung durch den besonnenen CDU-Mann Heiner Geißler weiterschwelt, treibt den Grünen Wähler in die Arme. Sie sind die einzige Partei, die gegen die Verlegung der Gleise unter die Erde eintritt und den Kopfbahnhof erhalten, also „oben bleiben“ will. Zumindest in Stuttgart und Umgebung spielt das Thema eine große Rolle: „Ich habe normalerweise immer konservativ gewählt, mich aber diesmal für die Grünen entschieden. Stuttgart 21 hat für mich den Ausschlag gegeben“, erklärt etwa Michael Kiesel (45), Angestellter bei der Krankenkasse, „außerdem wendet sich Mappus in der Atomfrage ein bisschen arg.“

Erster grüner Ministerpräsident?

Auf der Bühne hat inzwischen der grüne Spitzenkandidat Winfried Kretschmann das Wort ergriffen. Der 62-Jährige mit dem weißen Bürstenhaarschnitt – eher bescheiden und zurückhaltend im Auftreten – hat reale Chancen, erster grüner Ministerpräsident in Deutschland zu werden. „Wir wollen Schwarz-Gelb auf die Oppositionsbänke verweisen“, ruft er in die jubelnde Menge. Weil „wir das nur gemeinsam können“, hat er zur Abschlussveranstaltung den Spitzenkandidaten der SPD, Nils Schmid, geladen. Der 37-Jährige ist seit 14 Jahren im Landtag und gilt als solider Finanzpolitiker; könnten die Baden-Württemberger ihren Regierungschef direkt wählen, hieße er Schmid. „Es geht um Rot-Grün“, schmettert dieser von der Bühne, doch Zwischenrufer kontern: „Grün-Rot!“ In umgekehrter Reihenfolge. Falls der viel beschworene Politikwechsel gelingen sollte, wird es also spannend, ob letztlich die Grünen oder die SPD stärker sind und wer somit den Ministerpräsidenten stellt.

Signal nach Berlin

Immer wieder hatten die Grünen in den vergangenen Monaten die SPD überholt, zuletzt kamen beide Parteien auf jeweils 24 Prozent und liegen damit jedenfalls gemeinsam klar vor Schwarz-Gelb. Die CDU erreichte in jüngsten Umfragen 38 Prozent, die FDP fünf – sie muss um den Einzug in den Landtag sogar bangen, die Linke dürfte ihn mit 4,5 Prozent verfehlen.

Nachdem die CDU seit 58 Jahren in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellt, wäre die Abwahl von Schwarz-Gelb ein harter Schlag für die Bundesregierung. Der Urnengang am Sonntag gilt im „Superwahljahr 2011“ als bundespolitisch am bedeutsamsten. Der Verlust des Stammlandes im Südwesten würde Bundeskanzlerin Angela Merkel stark beschädigen. Auch der angeschlagene Guido Westerwelle, dessen FDP in Hamburg zwar halbwegs gut abgeschnitten hat, in Sachsen-Anhalt aber letzten Sonntag aus dem Landtag geflogen ist, muss zittern.

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Mit dem MapBus durchs Land

„Das Ding wird eng“, sagen sie bei den Regierungsparteien in Stuttgart. In den letzten heißen Wahlkampftagen versucht man, das Ruder noch einmal herumzureißen. Unermüdlich tourt Stefan Mappus in seinem „MapBus“ durch die Lande und wirbt um Vertrauen, will sich „von Umfragen nicht kirre machen lassen“. Er pocht auf das hohe Wirtschaftswachstum und die niedrige Arbeitslosigkeit, schwärmt von der Erfindung des Automobils, preist Technologie und Fortschritt. Zwischendurch klingt das wie aus einem Werbeprospekt: „Hier lebt sich's so gut wie in keinem anderen Bundesland!“

An diesem Abend spricht Mappus zu den Bewohnern eines Altersheims am Rande von Stuttgart. Weitgehend ein Heimspiel: Meist nicken die grauen Häupter zustimmend, wenn er etwa auf SPD und Grüne hinhackt. „Dass Rot-Grün zuständig ist für den Atomausstieg und wir uns drum kümmern müssen, dass der Strom aus der Steckdose kommt, das geht nicht.“ Großer Applaus. Danach kommt Wein – aus Baden-Württemberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2011)

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