Masse und Maschine

März 1938. Deutsche Truppen überschreiten Österreichs Grenzen. Hitler fährt über Braunau und Linz nach Wien. Anfang April wirbt er für ein Ja bei der „Anschluss“-Volksabstimmung. Und immer an seiner Seite: der Fotograf Heinrich Hoffmann. Eine Recherche in Bildern.

Am 20. März 1938 wirbt die Firma Odol in der österreichischen Illustrierten „Wiener Bilder“ in großer Aufmachung für ihre bekannte Zahnpasta: „Das Gefühl vollkommener Sicherheit – zu wissen, dass Sie trotz langer Arbeitsstunden, im Theater, in Gesellschaft und im Hause sich wohl und sicher fühlen – Spannkraft und frische Lebensfreude empfinden –, dieses Gefühl des Wohlbehagens verleiht Odol.“ Die Annonce erscheint eine Woche, nachdem Truppen des Deutschen Reiches in Österreich einmarschiert sind. Mit dem „Anschluss“ setzt die Verfolgung und Drangsalierung der jüdischen Bevölkerung ein. Odol sieht offenbar keinen Grund, den Text zu ändern. Schließlich bewegt sich das Alltagsleben weiter in den gewohnten Bahnen. Die Solidarität mit den Verfolgten hält sich in Grenzen. Wer nicht von den Gewaltmaßnahmen betroffen ist, kann tatsächlich weiterhin das Gefühl „vollkommener Sicherheit“ genießen.

Den ersten öffentlichen Auftritt hat Hitler am 13. März 1938 in Linz, wo er vom Balkon des Rathauses eine Rede hält. Einen Tag später wird er in Wien erwartet. Er steigt im Hotel Imperial ab. „Wien jubelt dem Führer zu!“, titelt das „Interessante Blatt“, die auflagenstärkste Illustrierte des Landes, am 17.März und bringt auf dem Umschlag ein Bild, das Hitler im offenen Mercedes auf seiner Fahrt durch die Hauptstadt zeigt. Die Straßen sind von Anhängern und Schaulustigen gesäumt. Die Zeitschrift ist schlagartig auf NS-Kurs umgeschwenkt. Von nun an huldigt sie, ebenso wie andere Blätter, Woche für Woche dem neuen Regime. In den „Wiener Bildern“ heißt es am 20. März unter dem Titel „Heimkehr ins Reich“ pathetisch: „Österreich ist frei geworden! Der Sturm geschichtlichen Geschehens, der frühlingshaft durch alle Gaue der Ostmark braust, trägt den Ruf mit sich, jedem Österreicher verkündend: Die alte Ostmark ist heimgekehrt ins Reich.“ Und weiter: „Seit dem 12. März braust der Jubel durch das Land. Adolf Hitler ist heimgekehrt in seine Heimat! Seine Fahrt bis Wien war eine einzigartige, unbeschreibliche Triumphfahrt.“

Die neue Regierung überlässt nichts dem Zufall, wenn es darum geht, euphorisch und staatstragend über den Beginn der „neuen Zeit“ zu berichten. Alle relevanten Medien stehen nun unter nationalsozialistischer Kontrolle. Jüdische Verlagsmitarbeiter, Redakteure und Fotografen werden entlassen, ebenso werden politisch „unzuverlässige“ und unliebsame Journalisten entfernt. Ein Teil der Zeitungen wird eingestellt, andere werden unter nationalsozialistischer Führung weitergeführt. Zahlreiche Blätter werden mit neuen, politisch genehmen kommissarischen Leitern besetzt. Österreichische Blätter werden umbenannt, um symbolisch die Verbindungen zum alten Staat zu kappen und die Medien für den großdeutschen Markt fit zu machen. Aus der „Österreich-Woche“ wird beispielsweise die „Ostmark-Woche“. Immer mehr „reichsdeutsche“ Fotografen, Bildagenturen und auch Journalisten drängen nach Wien. Die Zeitungen und Zeitschriften gleichen sich in Ausrichtung und Aufmachung schnell der reichsdeutschen Berichterstattung an.

Am 15.März 1938 versammeln sich Zehntausende in Wien, um die Rede des „Führers“ am Wiener Heldenplatz zu verfolgen und ihm zuzujubeln. Gut zwei Wochen später ist Hitler neuerlich in Österreich unterwegs. Anfang April absolviert er eine sorgfältig vorbereitete propagandistische Österreich-Rundfahrt, die sogenannte „Ostmarkfahrt“, die ihn in nach Graz (3. April), Klagenfurt (4. April), Innsbruck (5. April), Salzburg (6. April), Linz (7. April) und Wien (9. April) führen wird. An allen Orten werden unter gewaltigem logistischem Aufwand Massenkundgebungen inszeniert, die ein einziges Ziel haben: die Bevölkerung für die Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland zu mobilisieren. Diese soll am 10. April 1938 stattfinden.

Die vom „Führer“ besuchten Städte verwandeln sich für Stunden in nationalsozialistische „Gesamtkunstwerke“. Jedes Detail ist penibel geplant, die Planungen reichen von der Lichtregie bis zur Beflaggung, vom obligatorischen Straßenschmuck über die Lautsprecheranlagen, von der Bühnentechnik bis zu den triumphierenden Musikeinlagen. Abends hält Hitler jeweils vor ausgewähltem Publikum eine flammende Rede. Der Tag des Hitlerbesuchs wird zum Festtag erklärt. Er ist schul- und arbeitsfrei. Hunderte von Sonderzügen und Bussen bringen Zehntausende von Besuchern in die Straßen und Plätze der Städte.

Nicht zufällig hat Hitler für den Auftakt dieser Propagandaschlacht Graz auserkoren, die „Stadt der Volkserhebung“, wie sie in der nationalsozialistischen Diktion genannt wird. Am 3. April 1938 lässt sich Hitler in den Straßen der Stadt bejubeln. Am Abend tritt er in der riesigen Montagehalle einer Waggonfabrik vor 20.000 Anhängern auf. Allein in Graz sind 20.000 Soldaten und Sicherheitskräfte im Einsatz um die anströmenden Menschenmassen zu kanalisieren. Insgesamt 400.000 Besucher tummeln sich an diesem Tag in der Stadt, weit mehr Menschen, als Graz Einwohner hat.

Hand in Hand mit der perfekten Inszenierung der Massenveranstaltung geht die mediale Ausbeutung der Auftritte. Radio und Presse berichten Tag für Tag ausführlich in Text, Bild und Ton über die Veranstaltungen. Der Tenor der Berichte variiert kaum, die Propagandamaschinerie des Regimes findet in der gleichgeschalteten Presse willige Multiplikatoren. Besonders wichtig ist der nationalsozialistischen Führung die Bildberichterstattung. Das „Interessante Blatt“ widmet dem Grazer Auftritt Hitlers in Form eines „Sonderbildberichtes“ viel Platz. Am 7. April 1938, wenige Tage nach der Veranstaltung, zeigt die Titelseite des Blattes Hitler während seiner Grazer Rede. Über dem Porträt des Redners prangt unmissverständlich der Aufruf: „Dein ,Ja‘ für den Führer!“ Das Foto stammt von Lothar Rübelt. Im Text zu seiner Reportage lässt er seiner Begeisterung freien Lauf. „Vor der festlich geschmückten Grazer Bahnhofshalle empfing ein Orkan der Freude den Retter Österreichs, als der Führer Grazer Boden betrat. Der Führer grüßte mit erhobener Hand, im Wagen stehend, und eine überschäumende Begeisterung erfasste die Menschen, die ihren Führer, der aus ihrer Heimat stammt, zum ersten Mal sahen.“

Als Hitler eine Woche später, am 9.April 1938, in der Halle des Wiener Nordwestbahnhofs seinen letzten Auftritt vor der Volksabstimmung absolviert, ist Lothar Rübelt wieder dabei. Aber auch andere Fotografen beliefern die Presse mit triumphierenden Bildern des „Führers“. Am Tag der Volksabstimmung, am 10. April 1938, bringen die „Wiener Bilder“ ein Hitler-Porträt auf der Titelseite. Der Aufruf dazu ist eindeutig: „Dem Befreier Österreichs – dem Retter Deutschlands Dein ,Ja‘!“ Das Foto stammt von Heinrich Hoffmann, der bereits seit Jahren die Karriere Hitlers fotografisch und publizistisch begleitete. Er gilt als „der“ Hitler-Fotograf, er ist es, der das fotografische Image des „Führers“ entwirft und verbreitet. Auch die Österreich-Auftritte Hitlers werden, von Hoffmann und seinen Mitarbeitern lückenlos dokumentiert, vermarktet.

Hoffmann ist die zentrale Drehscheibe für Hitlerbilder. Über seinen Verlag und seine Fotoagentur gelingt es ihm, zum größten und wichtigsten nationalsozialistischen Bildlieferanten aufzusteigen. Sein Unternehmen expandiert rasch, 1932 verfügt es noch über 17 Angestellte (unter anderem arbeitet die junge Eva Braun in Hoffmanns Betrieb), 1943 arbeiten bereits 300 Mitarbeiter für die Firma. Täglich werden nicht nur rund 160 Redaktionen mit aktuellen Pressefotos beliefert, man produziert auch Bildbände, Werbebroschüren, Postkarten und weiteres Propagandamaterial. Hoffmann selbst unterhält beste persönliche Kontakte zu Hitler und zur nationalsozialistischen Führungsriege und versteht es meisterlich, seinen privilegierten Zugang zu den NS-Machtträgern in massenhaft vervielfältigte Bildpropaganda umzumünzen.

Kaum ist der „Anschluss“ vollzogen, expandiert der Unternehmer, der von München aus ein fotopublizistisches Imperium mit zahlreichen Zweigstellen dirigiert, nach Wien. Er bringt eine zuvor „arisierte“ Wiener Kunstbuchhandlung in seinen Besitz und eröffnet in prominenter Lage (Opernring 19) seinen „Verlag nationalsozialistischer Bilder Heinrich Hoffmann“. Für Hoffmann, dessen Tochter mit dem mächtigen Wiener Reichsstatthalter Baldur von Schirach verheiratet ist, ist Wien weit mehr als nur der Standort einer seiner vielen Zweigstellen. Er hält sich regelmäßig in der Stadt auf, frönt hier seiner Kunstsammelleidenschaft und erwirbt im Herbst 1938 sogar eine österreichische Kunstzeitschrift, die er selbst herausgibt. Hoffmann rühmt sich, am 13. März 1938 das allererste Foto Hitlers in Österreich aufgenommen zu haben. Es entstand spätabends am Rathausbalkon in Linz, als Hitler den „Anschluss“ verkündete. Hoffmann nennt diese Aufnahme „Der Befreier“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2011)

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