Der Blödheit süße Seiten

Pfarrer: „Und denken Sie immer daran: Wir sind auf der Welt, um anderen Menschen Gutes zu tun!“ Bobby: „Und wozu sind die anderen da?“ Die Witze des Grafen Bobby: eine kleine Kulturgeschichte hiesigen Humors vom Fin de Siècle über Peter Alexander bis zu www.bobbygame.com.

Es ist ein doppelter Verlust: Mit dem Tod Peter Alexanders haben wir nicht nur einen medialen Lebensbegleiter gleich mehrerer Nachkriegsgenerationen verloren, sondern auch den letzten Repräsentanten eines legendären Wiener Typs: des Grafen Bobby. Schon vor Jahren war es still um die einst berühmte Witzfigur geworden, nun scheint sie endgültig der Vergangenheit anzugehören. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch hatte Bobby seinen naiven Humor verbreitet, eingebettet in die Populärkultur der Stadt und von hier bis weit in den deutschen Sprachraum ausstrahlend.

Beamter: „Herr Graf, Ihr Brief ist zu schwer, eine Zehn-Heller-Marke ghört noch aufs Kuvert.“ Bobby: „Dann wiegt ja das blöde Brieferl noch mehr!“


Um es gleich vorwegzunehmen: Graf Bobby hat nicht wirklich gelebt. Er ist eine fiktive Figur, entstanden um 1900, in den letzten Jahren der k. u. k. Monarchie, als Witze über leicht dekadente, begriffsstutzige Aristokraten in so manchen Karikaturenblättern die Runde machten. Und als die englische Mode und mit ihr englische Vornamen in Wien Einzug hielten.

Als echter Wiener, mit leicht vom Dialekt gefärbter, nasaler Sprache, dem klassischen „Schönbrunner Deutsch“, bestach Bobby von Anfang an durch seinen Charme. Seine offensichtliche Beschränktheit wurde durch seine Liebenswürdigkeit kompensiert, mit der er zur literarischen Erscheinung avancierte und zur idealen Projektionsfigur, die im Laufe der Jahrzehnte unzählige „herrenlose“ Witze anzog – und laufend neue anregte.

Schon bald war Bobby nicht mehr allein. Ihm zur Seite standen standesgemäße Freunde, allen voran Graf Rudi und Baron Mucki, bisweilen auch Graf Poldi und Baron Schmeidl. Mit jeweils einem von ihnen als Dialogpartner und Stichwortgeber entstand die klassische Situation der Doppelconférence, die sich um 1900 im Budapester Kabarett entwickelt und von dort aus verbreitet hatte. Zwei aristokratisch-antiquierte Personen im sprachlichen Zweikampf, das sollte zum humoristischen Aushängeschild für Wien werden, vergleichbar den Kölner Originalen Tünnes und Schäl oder den oberschlesischen Figuren Antek und Franzek. Mit Graf Bobby hatte Wien einen fixen Platz auf der europäischen Landkarte des Humors.


Bobby: „Du, Mucki, weißt du nix, was man dem Grafen Schmeidl zum Geburtstag schenken könnt?“ Mucki: „Vielleicht ein Buch?“ Bobby: „Ah, geh – hat er schon.“


Über das Aussehen des Grafen gibt es unterschiedliche Überlieferungen. Wohl am häufigsten wurde er als hagere, groß gewachsene Person imaginiert, elegant gekleidet mit Melone, Smoking, Stehkragen, Mascherl, Hand- und Lackschuhen. Bisweilen trug er aber auch Zylinder und Halstuch, war von Statur her eher klein, und manchmal führte er sogar einen kleinen Hund an der Leine. In jedem Fall besaß er aber zwei Utensilien: Monokel und Spazierstock. Beides einst modische Accessoires der Aristokratie, mittlerweile jedoch verräterische Symbole für deren unzeitgemäße Lebens- und Denkweisen.

Schon allein das Einklemmen des Einglases war eine Geste, die an eine leicht zurückgebliebene Lebensart gemahnte. Durch das Monokel sah Bobby staunend auf die Welt. Sorgfältig rückte er es zurecht, ehe er seine Meinung zu einem bestimmten Gegenstand oder Sachverhalt kundtat. Und auch der Spazierstock wurde auf raffinierte Weise immer wieder in die Dramaturgie der Witze eingebaut und bisweilen sogar zum Hauptdarsteller.


Graf Bobby ergeht sich auf der Promenade. Er schwingt einen Spazierstock mit einem wundervoll gearbeiteten Elfenbeingriff. Ihm entgegen kommt Graf Rudi: „Servus Bobby! Was hast du da für einen herrlichen Spazierstock?“ Bobby: „Den hab ich vom Onkel Alfi geerbt, der ist neulich gstorben, weißt? Aber ich bin sehr unzufrieden damit, weil er mir zu lang ist. Jetzt muss ich mir ein Trumm abschneiden lassen. Schad um den schönen Griff!“ Rudi: „Ja, warum schneidst ihn denn nicht unten ab?“ Bobby: „Unten? Mir ist er ja oben z' lang!“


Die unschuldige Blödheit und entwaffnende Ahnungslosigkeit, die uns über Bobby lachen lässt, enthüllt bisweilen ungeahnte philosophische Einsichten und nicht zuletzt auch kreative Strategien, die Tücken des Alltags zu bewältigen. Denn womit Bobby am meisten zu kämpfen hat, ist die Anpassung an neue Verhältnisse, an den Fortschritt, die Technik, die Wissenschaften. Nicht zufällig war es der kulturelle und technische Modernisierungsschub der Zwischenkriegszeit, der Graf Bobby zu einem ersten Popularitätshoch verhalf.

Unzählige Witze entstanden, in denen er technische Neuerungen wie Telefon, Fotoapparat oder Automobil zu begreifen und in sein Leben zu integrieren versucht; in denen er über das Phänomen der Elektrizität rätselt oder über die neuesten Erkenntnisse der Mondbeobachtung. Dabei ist er, wie Herta Singer, eine spätere Exegetin seiner Witze, betont, „kein gewöhnlicher Dummkopf, sondern ein denkender. Er denkt haarscharf am Wesen der Sache vorbei.“

Als Kind des Fin de Siècle wurde Graf Bobby nun endgültig zum Altwiener Original, dem viele Errungenschaften im wahrsten Sinne komisch vorkamen. Es ist der Blick von gestern auf das heute, der dominiert: verdutzt, skeptisch, ein großes Fragezeichen über das Funktionieren der Welt.

Ideal fügte er sich ein in jenen mythisierenden Retroblick, der bis heute zum bestimmenden Image von Wien gehört: nostalgisch verklärend und traditionsfixiert. Der renommierte Feuilletonist und Schriftsteller Ludwig Hirschfeld konstatierte anerkennend: „Bobbys Ehrgeiz ist es, für ein Stück des Wiener Fremdenverkehrs gehalten zu werden.“


Graf Bobby und Baron Mucki begegnen einander auf der Ringstraße. Graf Bobby: „Servus! Warum rufst du mich eigentlich nie an?“ Baron Mucki: „Du hast ein Telefon? Seit wann denn?“ Graf Bobby, empört: „Ja, liest du denn kein Telefonbuch?“


Die Fülle der Graf-Bobby-Witze wurde in den 1930er-Jahren unüberschaubar. Bemühungen entstanden, sie zu ordnen und ihren möglicherweise verborgenen urheberschaftlichen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Unter dem Pseudonym Sebastian Grill legte der Münchner Filmkritiker und Verlagslektor Gunter Groll im Jahr 1940 die erste Anthologie vor mit dem Titel „Graf Bobby und Baron Mucki. Geschichten aus dem alten Wien“. Diese im Verlag Ernst Heimeran in München erschienene Witzesammlung sollte zum Klassiker werden, zum jahrzehntelang beliebten Longseller, der noch 1989 in derselben Fassung erschien (nun allerdings bei Piper). Das Cover, gezeichnet von der Illustratorin Beatrice Braun-Fock, brachte die Essenz des Humors grafisch auf den Punkt: Bobby und Mucki, beide verschmitzt lächelnd, schlendern lässig vor dem Wiener Stephansdom dahin.

Als „Symbol der alten und dem Untergang nahen Donaumonarchie mit ihrer eigentümlichen Atmosphäre heiterer Resignation und entwaffnenden Charmes“ bezeichnete auch Sebastian Grill den Grafen. Und er konnte es sich nicht verkneifen, eine selbst erfundene Kurzbiografie von ihm anzufügen, in der er dessen wahre Identität als Robert-Angelus Graf Donnerstag zu Daxenstein enthüllt. Auch das eine in der Folge gerne weitertradierte Legende.

Dass die Bobby-Witze ausgerechnet in der Zeit des Nationalsozialismus und des Kriegs in Buchform publiziert wurden, mag mit ihrer weitgehenden politischen Harmlosigkeit zu tun haben und dem dominanten Blick zurück in die vermeintlich gute alte Zeit. Eskapistische Ablenkung von den herrschenden Nöten und Missständen war gefragt, Hinwegtrösten über die oft erdrückenden Sorgen des Alltags.


Mucki: „Bobby, hast a Zigarrl?“ Bobby: „Nein, ich kauf mir keine mehr.“ Mucki: „Ja, warum denn nicht?“ Bobby: „Ich will dir das Rauchen abgewöhnen.“


Auch nach Ende des Krieges blieb Bobbys Popularität ungebrochen. Und bisweilen wurde er nun sogar mutiger und erlaubte sich subversive Anspielungen auf die lang anhaltende Besatzungszeit etwa oder die unmittelbare NS-Vergangenheit. Der politische Witz fand Eingang in das Repertoire des Grafen, bot ein Ventil für lang unterdrückten Meinungen und Sehnsüchte. Doch die Domäne des Bobbyschen Witzes sollte nach wie vor das Staunen über die Menschen an sich und ihren ganz normalen Alltag sein. Und dazu boten die fundamentalen Umwälzungen der Nachkriegszeit genug Gelegenheit. Die sich formierende Konsum- und Wohlstandsgesellschaft leitete Bobbys „Goldenes Zeitalter“ ein. Hauptverantwortlich dafür war vor allem eine Person: Peter Alexander. Er verkörperte den Grafen in gleich drei Filmen, die in den 1960er-Jahren unter der Regie von Géza von Cziffra und Paul Martin entstanden: „Die Abenteuer des Grafen Bobby“ (1961), „Das süße Leben des Grafen Bobby“ (1962), „Graf Bobby, der Schrecken des Wilden Westens“ (1965).

Peter Alexander, in den 1950er-Jahren zum Star geworden, verschmolz mit der Kunstfigur Bobby. Gutmütiger Charme, vereint mit tollpatschiger Pfiffigkeit – damit hatte Graf Bobby ein Gesicht erhalten. Eine filmische Idealbesetzung, die gemeinsam mit Gunther Philipp als Baron Mucki sogleich ein Millionenpublikum begeisterte, in Österreich genauso wie in Deutschland.


Rudi: „Bobby, sag einmal, wie lang bist du schon verheiratet?“ Bobby: „30 Jahre!“ Rudi: „Sag einmal ehrlich, was reizt dich noch an deiner Frau!“ Bobby: „Jedes Wort!“


Im Sog des Filmerfolgs kam es schon bald zu weiteren Buchveröffentlichungen. Ergänzend zu Grills Werk erschienen zahlreiche Anthologien und Sammelbände, herausgegeben von prominenten Zeitgenossen wie dem Wiener Journalisten und Kabarettisten Fritz Riha (recte Rihacek), dem Schriftsteller Reinhard Federmann oder dem deutschen Schauspieler Willy Millowitsch, einem großen Verehrer des gräflichen Humors. Hunderte Witze wurden auf diese Weise gesammelt, alte und neue, typische und weniger typische. Graf Bobby wurde zum großen Witzekatalysator der Nachkriegszeit.

Karikaturisten bemächtigten sich seiner und verliehen ihm wechselnde Gesichter, unter ihnen Bernd Fahrenholz, Wilhelm M. Busch, Luis Murschetz oder Wilfried Zeller-Zellenberg. Und er erhielt, gemeinsam mit Mucki oder Rudi, verschiedene Stimmen, die man nun auch auf Langspielplatte oder Musikkassette hören konnte, darunter jene von Fred Rauch und Peter Igelhoff, Erich Padalewski und Heike Eis, Gunther Philipp und Peter Wehle, Hans Roseneckh oder Maxi Böhm. Ganz abgesehen davon, dass der Vortrag von Graf-Bobby-Witzen natürlich auch live, auf der Bühne, zum Standardrepertoire jedes erfolgreichen Kabarettisten gehörte.

Mit der Langspielplatte hatte Bobby Einzug in die Wohnzimmer gehalten, wo man sich sonntagnachmittags mit Freunden unbeschwert zur Kaffeejause zusammensetzte und eine Witzplatte auflegte. Noch bis in die 1980er-Jahre war er so ein gern gehörter Gast, familienfreundlich, mit leiser Melancholie, hinter der bestenfalls sanfter Irrsinn aufblitzte. Herta Singer, Literaturwissenschaftlerin und Musikhistorikerin (und spätere Gattin des renommierten Musiksoziologen Kurt Blaukopf), brachte als eine der ersten im Jahr 1965 eine LP mit Bobby-Witzen heraus, zu der sie anmerkte: „Wir lachen über ihn, aber wir lachen ihn nicht aus. Weil wir ihn gern haben.“ Es war Schmunzelhumor für die ganze Familie, nett und zahm, ganz dem medial vermittelten Wesen seines filmischen Alter Ego, Peter Alexander, entsprechend.


„Mein Onkel ist Numismatiker“, sagt der Mucki zum Grafen Bobby. Bobby: „Numismatiker?“ Mucki: „Einer, der Münzen sammelt.“ „Die Ausdrücke, die s' heute haben“, verwundert sich Bobby. „Früher hat man ganz einfach Bettler gesagt.“


Wie tief sich Graf Bobby in die damalige Populärkultur einschrieb, belegt die Tatsache, dass 1967 auch ein Schokoladeriegel mit Namen „Bobby“ auf den Markt kam, als österreichische Antwort auf die amerikanischen Marktführer „Milky Way“ oder „Mars“. Die Verpackung zeigt das stilisierte Gesicht des Grafen, mit Melone, Monokel, Mascherl und Schnurrbart. Von einem Salzburger Süßwarenfabrikanten hergestellt, ist der Riegel bis heute erhältlich und zum Markenzeichen für Österreich geworden, zu einem beliebten Mitbringsel und typischen „Austrian goody“.

Auch auf dem deutschen Musikmarkt verbreitete sich der Ruf Bobbys. Die junge, in Schweden geborene Schlagersängerin Nina Lizell veröffentlichte ein flottes Liebeslied, das 1969 auch als Singleauskopplung auf dem Markt kam. Darin träumt sie von einer gemeinsamen Zukunft mit dem „smarten“ Charmeur aus Wien, der sich unwiderstehlich in sie verliebt hat.

So war Bobby in den verschiedensten Medien präsent und damit endgültig zum anerkannten Kulturgut geworden. Doch spätestens in den 1990er-Jahren begann der Stern des Grafen zu sinken. Sein Humor kam aus der Mode, wurde als fade und altbacken erlebt. Vielleicht fehlte auch zunehmend die Muße, hinter den oft vertrackten Formulierungen das Besondere zu entdecken und sich auf die nur mehr schwer nachvollziehbare Aristokratenperspektive einzulassen. Der Schweizer Sänger Stephan Sulke hatte den Niedergang als Erster in einem Lied vorweggenommen, in dem er den nun schon gealterten Grafen als verlorenen Einzelgänger porträtierte, der dahindösend auf einer Parkbank sitzt, eingehüllt in seinen zerschlissenen Mantel: „Bobby träumt und pennt, dieweil die Welt vorüberrennt.“ Graf Bobby, der „österreichische Don Quichotte“, wie der Kammerschauspieler und Vortragskünstler Richard Eybner ihn einmal bezeichnete, hatte ausgedient.

Doch ist dies wirklich sein Ende? Immerhin ist sein Name noch als Geschmack lebendig, und in der virtuellen Welt hat er vor einiger Zeit ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben, als Computerspiel, in dem ein schusseliger Graf permanent verlorene Gegenstände sucht (www.bobbygame.com). Hoffnungsschimmer also, die bestätigen könnten, was manche seiner Fans schon früher prophezeiten: Graf Bobby wurde nie geboren – und so wird er auch nie sterben.


Pfarrer: „Und denken Sie immer daran: Wir sind auf der Welt, um anderen Menschen Gutes zu tun!“ Graf Bobby: „Und wozu sind die anderen da?“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2011)

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