Unter Aufsicht der EU-Kommission werden bis Jahresende alle AKW von unabhängigen Experten geprüft. Schließungen sind sogar für Frankreich eine Option - was Kanzler Faymann trotzdem nicht glücklich macht.
Brüssel. Als wahrer Stresstest erwies sich für so manchen EU-Regierungschef das Thema Atomkraft beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel. Das Thema ließ in Zeiten der japanischen Reaktorkatastrophe schließlich nicht jeden so kalt, wie den bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow. Er beschied seinen Kollegen, sie sollten sich doch lieber um die vielen Verkehrstoten kümmern.
Merkels Glaubwürdigkeits-GAU
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war weniger gelassen. Kein Wunder, kämpfte sie doch zusätzlich mit einem „Glaubwürdigkeits-GAU“, den ihr die „Süddeutsche Zeitung“ eingebrockt hatte. Sie veröffentlichte eine Rede von Merkels Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der das deutsche Moratorium für sieben alte Atommeiler, das die Kanzlerin vergangene Woche ausgesprochen hatte, wörtlich als nicht so ernst zu nehmende Wahlkampftaktik abtat. Was Merkel offenbar zur noch größeren Streiterin in Sachen AKW-Stresstest machte.
Schließlich gingen alle mit, sogar Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Land mit 58 die meisten Atommeiler in Europa hat. Er sagte sogar zu, Kraftwerke zu schließen, die bei den Stresstests durchfielen. Noch ist Sarkozy allerdings gelassen: „Manche Leute verlieren in Krisenzeiten einen kühlen Kopf – ich nicht.“ Dabei hatte Merkel Schließungszusagen gar nicht einmal so deutlich eingefordert. „Der Energiemix liegt in der Zuständigkeit der Länder“, meinte sie diplomatisch. Was allerdings die Sicherheit betrifft, lässt Merkel nicht mehr mit sich reden.
Deshalb will man, wie es der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker ausdrückt, auch keine „mit der Atomlobby verbandelten Experten“ zur Prüfung zulassen. Die Kriterien für die AKW-Überprüfungen werden von der EU-Kommission und der Europäischen Atomsicherheitsregulierungsgruppe (ENSREG) festgelegt. Die Tests selbst nehmen dann die nationalen Behörden vor. Sie müssen sie der EU-Kommission melden, die wiederum den Rat informiert. Die Ergebnisse werden veröffentlicht. Ziel der EU ist es, nicht nur ihre eigenen 143 Atommeiler zu prüfen, sondern auch die Nachbarländer zum Stresstest anzuregen. Die Überprüfung der EU-Kraftwerke soll jedenfalls bis Jahresende vorliegen. Fällt ein Test negativ aus, muss das AKW stillgelegt oder nachgerüstet werden.
Für Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann ist das Ganze dennoch nicht mehr als ein Baustein und „erst der Start der Diskussion“. Der beste Stresstest ist in Faymanns Augen nämlich der Atomausstieg, weil es das „absolut sichere Kernkraftwerk aus meiner Sicht nicht gibt“. Und da die echten Atomkraftgegner unter den europäischen Regierungschefs noch dünn gesät sind, ist Faymanns Ziel nach wie vor die Einbindung der Bürger in den Atomausstieg per europäischer Bürgerinitiative.
„Nicht juristisch herumquatschen“
Dass es Bedenken seitens der EU-Kommission bezüglich der Rechtmäßigkeit einer solchen Einmischung in die Energiepolitik der einzelnen Mitgliedstaaten gibt, wischt Faymann recht unwirsch vom Tisch. Man solle „nicht juristisch herumquatschen“. Bis Mitte nächsten Jahres, der ersten Möglichkeit zur Durchführung eines solchen neuen europäischen Volksbegehrens, fände sich schon eine haltbare Formulierung. Eine Möglichkeit wäre die Forderung nach umweltpolitischen Zielsetzungen oder nach dem Ende eindimensionaler Atomforschung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2011)