Die Domestizierung der Füchse schreitet voran

Ein einzigartiges Experiment soll klären, wie die Änderungen des Verhaltens und die der Physiognomie zusammenhängen.

Wenn wilde Tiere domestiziert werden, verändert sich nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihr Körper, die Gesichter werden runder, die Ohren schlapp, im Fell kommen Flecken, etwa weiße auf der Stirn. Das zeigt sich querbeet, von Schweinen bis zu Hunden. Darwin bemerkte es, Konrad Lorenz verband es mit dem „Kindchenschema“: Alle Säugetiere haben als Junge runde Gesichter, aber in der Natur streckt sich später der Schädel, er wird spitz. Menschen mögen es lieber rund – man sieht es in der Entwicklung der Teddybären, die ersten sahen aus wie Grizzlys –, aber das wird nicht das Kriterium gewesen sein, nach dem die frühen Züchter entschieden, welche Tiere sich vermehrten. Da wird es eher um Zutraulichkeit gegangen sein, etwa bei den Wölfen, aus denen die Hunde selektiert wurden.

Oder um beides, hängen Physiognomie und Verhalten genetisch zusammen? Seit 1959 wird es in einem einzigartigen Experiment erkundet, in dem der Zähmung des Fuchses in Nowosibirsk. Dort hatte der Biologe Dimitrij Beljajew Zuflucht gefunden, er war früher Chef des sowjetischen Amts für Pelztierzucht, aber er war auch Darwinist. Das war nicht gern gesehen unter Stalin bzw. seinem Leibbiologen Lysenko: Nach dessen Dogma wurden Eigenschaften nicht vererbt, sondern von der Umwelt bestimmt. Man warf Beljajew hinaus, er konnte noch froh sein, anderen erging es ärger. „Was, es gibt noch Genetiker? Sind die nicht alle beseitigt worden?“, wunderte sich Stalins Nachfolger Chruschtschow bei einem Besuch in Nowosibirsk.

Handzahm nach 35 Generationen

Dort war das Experiment in vollem Gang: Beljajew hatte aus Pelztierfarmen die zahmsten Tiere ausgewählt – 130 Individuen – und selektierte weiter nach „Zutraulichkeit“. Er vermutete, dass sich dann automatisch auch die Veränderungen des Phänotyps einstellen würden. Er behielt recht, nach 35 Generationen waren die Füchse handzahm, sie bellten und wedelten mit den Schwänzen, wenn die Forscher ihnen Futter brachten, und sie hatten runde Gesichter mit weißen Flecken auf der Stirn. Aber Beljajew erlebte es nicht mehr, starb früh in den 80er-Jahren. So blieb ihm auch erspart, dass das Institut nach dem Ende der Sowjetunion keine Forschungsgelder mehr bekam und nur durch den Verkauf der meisten Tiere überleben konnte.

Und durch Hilfe aus den USA: Anna Kukekowa (Cornell) trieb Geld auf, sie wollte damit die „Zahmheitsgene“ identifizieren, später ging auch Frank Albert (MPI Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) auf die Suche, er übernahm im Jahr 2004 30 Füchse. Die geben ihr Geheimnis allerdings so leicht nicht preis. „Wir wissen noch nicht, welche Gene diese Eigenschaften steuern“, erklärt der Forscher gegenüber National Geographic Deutschland (April, S.67), „wir sind dabei, die Zahl der Kandidaten zu verkleinern.“ jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2011)

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