Volkstheater: Erni Mangold stirbt wie eine Diva

Die Kammerschauspielerin brilliert als Sarah Bernhardt, Erich Schleyer ergänzt sie einfühlsam.

Der finale Abgang ist eine heikle Angelegenheit, auch auf der Bühne. Keine soll darin so gut gewesen sein wie Sarah Bernhardt, die vor einem Jahrhundert ganz Paris entzückte, nicht nur als Phädra, sondern sogar als Hamlet. Am Ende hat die Göttliche, die tausenddrei Liebhaber gehabt haben soll, Memoiren geschrieben. Dies greift John Murrells Kammerspiel auf, das seit 1977 in aller Welt gespielt wird. Madame verbringt den Sommer 1922 am Atlantik und zwingt ihren leidgeprüften, schwerhörigen Sekretär Georges Pitou zum Aufschreiben und zum Nachspielen ihrer Erinnerungen.

Natürlich wird dabei nicht nur geliebt, sondern auch gestorben. Wer eine Vorstellung davon haben will, wie groß die Bernhardt in diesem Fach war, der sollte Erni Mangold dabei zusehen, wie sich ihre theatralische Leidenschaft in Starre verwandelt. Man fürchtet um sie. Gleich, denkt man, wird sich der genervte Pitou in einen entsetzten Erich Schleyer verwandeln und im Volkstheater in den Bezirken in der Längenfeldgasse ins Publikum fragen, ob ein Arzt hier Erste Hilfe leisten könne. Aber Tod und Entsetzen sind tatsächlich nur gespielt. Frau Mangold ist hervorragend in der Übertreibung, Herr Schleyer ergänzt sie in dieser 70-minütigen Inszenierung von Michael Schottenberg perfekt. Dieses Duo ist traumhaft sicher beim Setzen der Pointen, sogar kleinere Textschwächen werden in ihrer Improvisation zu Treffern.

Sadismus wird zur Unterwerfung

Mangold wird zur männerverschlingenden Kameliendame, der sich Schleyer nur mit größter Vorsicht nähert, im nächsten Augenblick ist sie ein elfjähriges Mädchen, während er eine grauenhafte Mutter und schließlich ansatzlos eine strenge Oberschwester spielt, die Frau Bernhardt vergeblich Zucht beibringen möchte. Da wird das Stück zur schrillen Klamotte. Dazu gehört auch, dass sich der Sekretär effektvoll beim Cognac bedient. Besonders die exzentrische Rolle des Oscar Wilde verlangt ihm Überwindung ab. Hingegen genießt Pitou es offenbar, Madame als Arzt mitzuteilen, dass er ihr lädiertes Bein amputieren muss – ein rascher Wechsel vom Masochisten zum Sadisten.

Der hünenhafte Diener verbirgt Widerstand hinter Taubheit, die elfenhafte, aber eisenharte Dame kann sich nicht einmal damit durchsetzen, dass er ihr einen Sonnenschirm bringt – das bietet reichlich Gelegenheit für Komödie. Eine fantastische Darstellerin spielt eine Legende. Anhaltender, begeisterter Applaus. norb

Nächste Termine: 27., 28., 30. und 31. 3. Info: 01/523 05 89-77.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2011)

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