Wie im 19. Jahrhundert

Sitzenbleiben wird so gut wie abgeschafft, ein Kurssystem soll es möglich machen. Aber solange viele Politiker, Lehrer und Eltern wie im 19. Jahrhundert denken, ändert sich gar nichts.

Vorweg gesagt: Ich habe für Hannah ein Gymnasium ausgesucht, das schon vor Jahren die „modulare Oberstufe“ eingeführt hat. Modular bedeutet, dass man nicht durchfallen kann, wobei das für mich nicht der Punkt war. Mich haben die Kurse überzeugt, die angeboten werden: Sich ein Semester lang mit dem Phänomen Licht zu beschäftigen bringt mehr als der Physikunterricht, der mir zuteil geworden ist, habe ich mir gedacht. Ich leide nämlich sehr unter meiner mangelnden naturwissenschaftlichen Bildung und möchte meinen Töchtern ähnlichen Ärger ersparen.

Wir haben die Entscheidung für diese Schule nicht leichtfertig getroffen. Die braven Eltern im 21.Jahrhundert besuchen mindestens drei „Tage der offenen Tür“ – und bei dieser Gelegenheit habe ich mich mit Lehrern, Schülern und anderen Eltern unterhalten. Fazit: Dieses Kurssystem verlangt von Kindern ein größeres Maß an Selbstständigkeit, von den Lehrern ein gerüttelt Maß an Enthusiasmus und von der Schule eine gewisse Größe, damit sich das Ganze organisatorisch umsetzen lässt.

Werden aus Fächern einfach »Kurse«? Nun soll also nach und nach in allen Schulen ein Kurssystem eingeführt und damit das Sitzenbleiben abgeschafft werden. Wie das genau aussehen soll, weiß man noch nicht, aber nach dem, wie sich die österreichische Bildungspolitik in den letzten Wochen, Jahren und Monaten präsentiert hat, ist meine Befürchtung: Erst werden sich SPÖ und ÖVP über die Details in die Haare geraten, dann wird man einander vorwerfen zu bremsen, dann wird man das, was sich bisher „Schulfach“ nannte, in „Kurs“ umbenennen, und ändern wird sich gar nichts. Statt die Klasse zu wiederholen werden die Kinder eben reihenweise Kurse noch einmal belegen müssen (was übrigens organisatorisch gar nicht so einfach ist).

Damit sich wirklich etwas bewegt, müssten Politiker, Lehrer und Eltern weg von einem Denken, das aus den vorigen Jahrhunderten rührt, das immer den Kindern die Schuld gibt am Versagen und das da besagt, es sei Aufgabe der Schule zu selektieren und zu bewerten – statt jedem Einzelnen möglichst viel beizubringen.

»Zu gute Noten?« Zu dem Thema weiß eine bayrische Lehrerin Entlarvendes zu berichten: Sie bekam Schwierigkeiten, weil sie ihren Schülern zu gute Noten gab. Das heißt, zu gut waren die Noten eigentlich nicht, sie entsprachen den Leistungen der Kinder! Nur war es der Schulbehörde trotzdem nicht recht. Eine Klasse ohne Fünfen und Sechsen, das sei nicht möglich, das gefährde den „Schulfrieden“. Die Lehrerin wurde strafversetzt, kündigte und schrieb ein Buch – Sabine Cerny: „Was wir unseren Kindern antun“.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2011)

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