Der Machtwechsel im Stammland ist für Bundeskanzlerin Merkel ein herber Schlag. Vor allem
aber muss FDP-Chef Guido Westerwelle nach dem Debakel der Liberalen um sein politisches Überleben bangen.
Die Hoffnungen der schwarz-gelben Koalitionen in Stuttgart wie in Berlin auf ein Wunder in letzter Minute haben sich nicht erfüllt: Die CDU verlor am Sonntag ihr Stammland Baden-Württemberg, das sie seit fast 60 Jahren regierte, Ministerpräsident Stefan Mappus wurde abgewählt.
Die großen Gewinner der Landtagswahl sind die Grünen, die 24,2 Prozent erreichten (ein Plus von 12,5 Prozent) und mit der SPD (23,1 Prozent) eine Mehrheit vor schwarz-gelb haben: Die CDU kam auf genau 39 Prozent, die FDP hat mit 5,3 Prozent knapp den Wiedereinzug in den Landtag geschafft, die Linkspartei scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.
In Rheinland-Pfalz konnte die SPD von Ministerpräsident Kurt Beck erwartungsgemäß die absolute Mehrheit nicht verteidigen, sie erreichte 35,7 Prozent - das ist ein Verlust von fast zehn Prozentpunkten. Beck wird voraussichtlich mit den Grünen (15,4 Prozent) koalieren. Die CDU konnte mit ihrer Spitzenkandidatin Julia Klöckner auf 35,2 Prozent leicht aufholen, FDP und Linkspartei verfehlten den Einzug in den Landtag.
Zweifel an der Führung
Den Landtagswahlen, vor allem in Baden-Württemberg, wird große bundespolitische Bedeutung beigemessen, die Schockwellen werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und FDP-Chef Guido Westerwelle in Berlin erreichen. Die CDU hat nach Nordrhein-Westfalen und Hamburg nun den dritten Ministerpräsidenten verloren, die parteiinterne Debatte über Merkels Kurs und ihre Führungsstärke wird nach dieser „Schicksalswahl“ umso heftiger aufflammen.
Besonders eng ist es für Westerwelle, dessen FDP auch bundesweit im „Sonntagstrend“ der „Bild am Sonntag“ auf vier Prozent abrutschte. Die Entscheidung über den Parteivorsitz der Liberalen steht im April an, Westerwelles Bestätigung ist fraglich.
In Baden-Württemberg konnten die Grünen stark vom Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 und vom Streit um die Atomkraft profitieren. Mit Winfried Kretschmann (62) dürfte nun zum ersten Mal ein Grüner Ministerpräsident in einem deutschen Bundesland werden, die Grünen haben sich als dritte starke Partei etabliert. Der Endspurt des Wahlkampfs war klar vom Atomthema dominiert worden, das die Bevölkerung bundesweit sehr bewegt.
Erst am Wochenende demonstrierten in den vier größten Städten Deutschlands mehr als 200.000 Menschen gegen Atomkraft. In Baden-Württemberg, wo vier der 17 deutschen Atommeiler stehen, hatte Ministerpräsident Mappus sich vom glühenden Verfechter der Laufzeitverlängerung zu einem ebenso überzeugten Befürworter des Moratoriums gewandelt. Kurz vor der Wahl warnte er dann wieder vor einem übereilten Ausstieg aus der Kernenergie.
Atompolitik kostete Sympathien
Bei der Bevölkerung hat die Regierung mit ihrer Kehrtwende in der Atompolitik nach dem Unglück in Japan Vertrauen verspielt und auch in den eigenen Reihen Widerspruch provoziert. Just vor den entscheidenden Landtagswahlen brach der Atomstreit in der Koalition voll aus. Der CDU-Energieexperte Thomas Bareiß sprach im „Spiegel“ von einer überhitzten Entscheidung, „die unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellt“.
Auch Ex-Kanzler Helmut Kohl meldete sich zu Wort und warnte vor einer „Rolle rückwärts“ in der Energiepolitik. Dass FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle laut einem internen Protokoll des Industrieverbands BDI die Atomwende als wahltaktisches Manöver bezeichnet hatte, tat das Übrige.
(Eva Male/Red.)