Die Restlaufzeiten von Angela Merkel und Guido Westerwelle sind ungewiss. Ihre Regierungsschwäche trat bei Atom- und Libyen-Politik und Eurorettung klar zutage.
Nicht von ungefähr lagen bei den Berliner Koalitionsparteien Union und FDP zuletzt die Nerven blank. Der 27.März war nicht einer von vielen Terminen im Superwahljahr 2011, sondern der wichtigste – eine „Schicksalswahl“ zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, so der baden-württembergische Noch-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU); eine „Volksabstimmung“ über das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangenen Herbst, am Höhepunkt der Proteste, erklärt hatte.
Inzwischen ging es um weit mehr. Stuttgart 21 spielt über die Landeshauptstadt und Umgebung hinaus keine entscheidende Rolle mehr; vielmehr regt nach dem Beben in Japan und der Havarie in Fukushima das Atomthema die Deutschen landes- wie bundesweit auf. Erst am Samstag gingen in Deutschland wieder hunderttausende Atomgegner auf die Straße. Dazu kommen aktuelle Fragen wie der Libyen-Einsatz oder die Eurorettung, die die Bevölkerung bewegen und die Politik durcheinanderwirbeln. Die Regierung hat mit ihrem Zickzack-Kurs nicht nur die Wähler irritiert, sondern auf für Unfrieden in den eigenen Reihen gesorgt.
Wenn Baden-Württemberg, seit 58 Jahren Stammland der CDU, verloren geht, so viel war klar, dann wäre das ein politisches Erdbeben, dessen Schockwellen auch Berlin erschüttern. Das Bundesland steht wirtschaftlich bestens da, und dennoch hat die schwarz-gelbe Regierung, sowohl die in Stuttgart als auch jene in Berlin, die Wähler massiv verprellt. Und das liegt nur zu einem Teil an Mappus' unglücklichem Agieren in Sachen Stuttgart 21 und Atomkraft – auch wenn man in Berlin versuchen wird, ihm die Niederlage in die Schuhe zu schieben. Es ist unüberhörbar aber auch die Quittung für die Politik der Bundesregierung, die der Bevölkerung immer schlechter vermittelt, wofür sie eigentlich steht. Von Anfang an war es Merkel und ihrem Vize, FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle, nicht gelungen, dem schwarz-gelben Projekt Inhalt und Richtung zu geben, Entscheidungen plausibel zu machen.
Besonders augenfällig – und fatal – war dies zuletzt in der Atomfrage: Die Kehrtwende nach den Vorfällen in Japan hat die Regierung viel Glaubwürdigkeit gekostet.
Drei Viertel der Deutschen halten das Moratorium für die Laufzeitverlängerung von AKW für „reine Wahltaktik“. Nicht nur die Gegner der Kernkraft sind irritiert, sondern auch deren Befürworter, zu denen weite Kreise der Unions-Stammwähler zählen. Merkel treffe ihre Entscheidungen allzu oft aus rein wahltaktischen Motiven, sagen sogar zwei Drittel von ihnen. In Umfragen sinken die Sympathiewerte der Kanzlerin, das Vertrauen in ihre Kompetenz und Führungsstärke massiv.
Merkels Beliebigkeit, ihr meist zögerliches Lavieren oder Über-den-Haufen-Werfen von Positionen wird immer mehr zum Problem. Der Erosionsprozess der Kanzlerin schreitet voran. In ihren knapp elf Jahren als Parteivorsitzende hat sie der CDU einen Modernisierungskurs verpasst, der gerade im strukturkonservativen Südwesten argwöhnisch verfolgt wurde. Inzwischen fehlt der Partei ein klares Profil, der ständig schwelende Konflikt zwischen Konservativen und Modernisierern wird nach der Wahl wieder umso heftiger ausbrechen. Die Prinzipienlosigkeit der Kanzlerin droht ihr über kurz oder lang auf den Kopf zu fallen.
Merkel mag unmittelbar nicht gefährdet sein. Anders als Gerhard Schröder, der 2005 nach dem Verlust des sozialdemokratischen Nordrhein-Westfalen die Auflösung des Bundestags und eine Neuwahl ankündigte, wird sie wohl bis zur nächsten Bundestagswahl weiterwursteln. Ihr personeller Spielraum ist gering, potenzielle Nachfolger für den Parteivorsitz kaum in Sicht. Aber es könnte nicht mehr allzu lange dauern, bis eine neue Generation nachdrängt, vom Typus eines Norbert Röttgen oder einer Ursula von der Leyen.
Gleiches bahnt sich in der FDP an. Wobei Westerwelle deutlich stärker wackelt als Merkel. Sein Rückhalt schwindet, die Entscheidung über den Parteivorsitz steht bei den Liberalen noch in diesem Frühling an.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2011)