Deutsche Grüne auf dem Weg zur neuen Volkspartei

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Bei den Landtagswahlen haben die Grünen von der Konjunktur "ihres" Atomthemas profitiert. Sie erfüllen aber die Voraussetzungen, sich langfristig um die 15 Prozent einzupendeln und relevante Partei zu bleiben.

Die Grünen im Glück: Dass sie mit ihrem sensationellen Abschneiden die eigentlichen Gewinner der deutschen Landtagswahlen sind, wird von niemandem bestritten. Die Frage ist nur, wie nachhaltig der Höhenflug der Partei sein wird, die zuletzt stark von der aktuellen Debatte über Atomkraft profitierte. In Baden-Württemberg kam noch das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 hinzu – und der Personeneffekt: Winfried Kretschmann – pragmatisch, wertkonservativ, Katholik – war auch für Bürgerliche gut wählbar.

Dass mit Kretschmann erstmals ein Grüner Ministerpräsident wird, ist laut Parteichefin Claudia Roth „eine historische Zäsur in 31 Jahren Parteigeschichte“ – die 24,2 Prozent in Stuttgart sind tatsächlich ein spektakuläres Ergebnis. Noch nie hatten die Grünen, die immerhin 1998 bis 2005 mit der SPD auf Bundesebene regierten, die 20-Prozent-Marke überschritten. In Rheinland-Pfalz schafften sie nicht nur den Wiedereinzug in den Landtag, sondern konnten ihren Stimmenanteil von 4,6 auf 15,4 Prozent sogar mehr als verdreifachen. Und auch bei der Kommunalwahl in Hessen fuhr die Partei mit 20 Prozent ein hervorragendes Ergebnis ein.

Kurzfristig hat den Grünen die Themenkonjunktur genützt. Laut dem Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin wären ihre Ergebnisse ohne das Atomunglück in Japan um einige Prozentpunkte schlechter gewesen. Unabhängig davon hätten die Grünen jedoch in den vergangenen Jahren die Basis dafür geschaffen, langfristig eine relevante Partei zu bleiben, mit Werten um 15 Prozent.

Gut austariertes Führungsteam

Der Politologe nannte am Montag in einem Gespräch mit Auslandsjournalisten folgende Faktoren: ein gut austariertes Führungsteam, bestehend aus vier Personen (zwei Parteichefs, zwei Fraktionsvorsitzende). „Damit werden unterschiedliche Wählersegmente optimal abgedeckt.“ Außerdem hätten die Grünen in vielen Fragen radikale Positionen gemäßigt und inhaltlich durch den „Green New Deal“ quasi den Stein der Weisen gefunden: „Ökologie und Wirtschaft/Technik sind keine Antagonismen mehr.“

Den Grünen ist es gelungen, sich ihre Stammwählerschaft, die sie ins Parteiensystem gebracht hat, zu erhalten. Überdurchschnittlich punkten sie bei jungen Leuten, und das ungebrochen seit den 80er-Jahren – diese Anhänger bindet die Partei im späteren Lebenslauf dauerhaft an sich, wie eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, die vergangene Woche vorgestellt wurde.

Der große Teil der ehemals jugendlichen grünen Anhänger ist inzwischen insbesondere unter Besserverdienenden, Beamten, Angestellten und Selbstständigen zu finden – umweltbewusst, gut gebildet, mittleren Alters, Großstädter. Daher machen die Grünen bei der Interessenvertretung einer bürgerlichen Klientel der Union und der FDP Konkurrenz. Weniger Gebildete, Arbeitslose und Geringverdiener unterstützen die Grünen hingegen kaum – die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der Partei muss auf diese Klientel daher kaum Rücksicht nehmen.

Auch das DIW kommt zu dem Schluss, dass „der Aufstieg der Grünen alles andere als ein kurzfristiges Phänomen ist“, so Jürgen Schupp vom Sozioökonomischen Panel (Soep). Jenseits aktueller Stimmungstrends könne die Partei von einem langfristigen Anstieg ihrer Anhängerschaft profitieren.

Gestärktes Selbstbewusstsein

Mittelfristig wollen die Grünen in Deutschland den Schwung nun in die nächsten Wahlen mitnehmen. Natürlich bedeute Baden-Württemberg Rückenwind für die Grünen, so Fraktionsvorsitzende Renate Künast, die im Herbst in Berlin gegen Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) antritt. Selbstbewusstsein zeigen die Grünen auch in Rheinland-Pfalz, wo sie sich nun eine Koalition mit der CDU statt mit der bisher regierenden SPD unter Kurt Beck offenhalten. Und im Bund sehen sie sich dem Ziel, dass Schwarz-Gelb 2013 abgewählt werde, deutlich näher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2011)

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