Der Zwang zu mehr Budget-Ehrlichkeit wird die heimische Staatsschuldenquote und das Defizit stark steigen lassen. Die Kosten für die beiden Euro-Rettungsschirme sind aber weiterhin nicht defizitrelevant.
Wien/Red./Ag. Am kommenden Donnerstag wird es für den Finanzminister ernst: Da gibt das EU-Statistikamt Eurostat bekannt, welche versteckten Schulden künftig ins Budget eingerechnet werden müssen. An der tatsächlichen Gesamtverschuldung des Staates (die derzeit um ein gutes Drittel über dem offiziellen Schuldenstand liegt) ändert sich dadurch zwar nichts, aber die Optik wird deutlich schiefer. Denn die offizielle Staatsschuldenquote, die derzeit bei 71,3 Prozent des BIPs liegt, wird dadurch um einige Prozentpunkte steigen.
Derzeit ist die Republik offiziell mit rund 200 Mrd. Euro verschuldet, der größte Teil davon entfällt auf den Bund. Nicht eingerechnet sind hier die Haftungen, die Bund, Länder und Gemeinden eingegangen sind und knapp 170 Mrd. Euro ausmachen.
Aber auch viele andere Verbindlichkeiten sind aus den Budgets „ausgelagert“ und damit in den offiziellen Statistiken nicht sichtbar. So etwa die Schulden der ÖBB (derzeit knapp 20 Mrd. Euro, dieser Wert wird aber durch teure Tunnelprojekte noch kräftig steigen), der Autobahngesellschaft Asfinag, der Bundesimmobiliengesellschaft BIG und zahlreicher weiterer öffentlicher Unternehmen bei Bund und Ländern.
Diese Verbindlichkeiten von zusammen mehr als 30 Mrd. Euro (mit stark steigender Tendenz) sind in der offiziellen Staatsschuld ebenso wenig enthalten wie beispielsweise die im Zuge der Notverstaatlichungen von Kommunalkredit und Hypo Alpe Adria übernommenen 40 Mrd. Euro an Verbindlichkeiten.
Einen Teil dieser Schulden (bei den ÖBB sogar den größeren) muss der Staat aber bedienen. Die offizielle Staatsschulden- und Defizitquote stellt die finanzielle Lage von Bund, Ländern und Gemeinden also deutlich rosiger dar, als sie tatsächlich ist.
Eurostat geht nun daran, die Berechnung der Schuldensituation der EU-Länder etwas näher in Richtung Schuldenwahrheit zu bringen. Freilich müssen auch künftig nicht alle Verbindlichkeiten eingerechnet werden.
Fix ist, dass die Schulden der ausgegliederten Landeskrankenanstalten (drei Mrd. Euro) und der Burgenland Wohnbaudarlehen (400 Mio. Euro) den Staatsschulden zugerechnet werden müssen. Das erhöht die offizielle Schuldenquote heuer von 71,3 auf 72,4 Prozent. Als ziemlich sicher gilt auch, dass die jährliche Neuverschuldung der ÖBB-Infrastruktur (nicht aber die kumulierten Altschulden)zugerechnet werden. Das erhöht die Schuldenquote um weitere 2,2Prozent. Gemunkelt wird auch, dass die Euro-Statistiker gern die Verbindlichkeiten der „Bad Bank“ der Kommunalkredit den Staatsschulden zuschlagen würden. Macht noch einmal 5,1Prozentpunkte, womit die Quote schon bei 79,7 Prozent liegt. Weil das Ganze ein dynamischer Prozess ist, würde die Quote allein aus diesem Titel bis 2014 auf 82,5 Prozent steigen.
In diesem Jahr droht dann der nächste Hammer: In der EU ist eine Neugestaltung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im Gespräch. Nach dem, was man bisher weiß, würden dann auch die Gesamtschulden der ÖBB, die dann schon deutlich über 20 Mrd. Euro liegen werden, in die Quote fallen. Dann wäre die Staatsschuld wohl in der Nähe von 90 Prozent des BIPs. Die sichtbare Staatsschuld wohlgemerkt, denn die tatsächliche ist jetzt schon höher.
Kostenverstecken geht weiter
Durch statistische Zurechnungsumschichtungen wird aber auch der eingeschlagene „Defizitpfad“ nicht zu halten sein: Die mögliche Einrechnung der ÖBB-Neuverschuldung in das Staatsdefizit wird dieses heuer von 4,1 auf 4,6 Prozent des BIPs hochtreiben. Hier lassen die EU-Statistiker aber mehr Spielraum zu: Die Schulden der Krankenanstalten und der Kommunalkredit (Bad Bank) werden nicht defizitwirksam.
Während Eurostat auf der einen Seite für etwas mehr Transparenz sorgt, geht auf der anderen Seite die Verschleierung munter weiter: Die Aufwendungen für den bestehenden und den kürzlich beschlossenen Euro-Rettungsschirm werden zwar in die Staatsschulden eingerechnet (und die Staatsschuldenquote um zusätzliche 0,25 Prozent hochtreiben), nicht jedoch ins Defizit – obwohl die Regierung natürlich auch diese Beträge als Kredit aufnehmen muss. Heuer wird Österreich 400 Mio. Euro für Zahlungen im Rahmen des „alten“ Rettungsschirms aufwenden, im kommenden Jahr 800 Mio. Euro. Sollte Portugal auch Hilfe benötigen (was ziemlich wahrscheinlich ist), kommen noch entsprechende Zahlungen dazu. Für den neuen Rettungsschirm muss Österreich 2,2 Mrd. Euro einzahlen.
Zinsbelastung steigt stark
Als ob das alles nicht genug wäre, drohen auch noch Belastungen von der Zinsenfront: Wenn die Europäische Zentralbank ihren Leitzins demnächst erhöht, muss dann auch der Staat mehr für die Bedienung seiner Schulden bezahlen. In einer dem Staatsschuldenausschuss vorgelegten Studie heißt es, die Zinsbelastung könnte von etwas mehr als acht Mrd. Euro im Jahr 2010 auf mindestens 10,5 Mrd. Euro im Jahr 2015 steigen. Der Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass Kreditzinsen um 0,7 Prozent anziehen. Der Chef des Staatsschuldenausschusses, Bernhard Felderer, beruhigte gestern aber in diesem Punkt: Den höheren Ausgaben würden nämlich höhere Einnahmen durch die besser laufende Konjunktur gegenüberstehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2011)