In der FDP hat das Debakel bei den Landtagswahlen inhaltliche und personelle Debatten ausgelöst. Immer lauter werden die Rufe nach einem Rücktritt Westerwelles. Auch ein Atom-Ausstieg soll beschleunigt werden.
Berlin. Nach ihrer Schlappe bei den Landtagswahlen laboriert die FDP an heftigen Nachwehen, inhaltlich wie personell. Beschleunigt soll nun der Ausstieg aus der Kernenergie betrieben werden, möglicherweise auch jener aus der Ära Westerwelle. Die Rufe nach dessen Rückzug vom Parteivorsitz werden lauter, zugleich versuchen die Liberalen, mit einem Schwenk in der Atompolitik inhaltlich in die Offensive zu kommen. Da auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) jetzt in diese Richtung tendiert, wenn auch bisher nicht so explizit, wirkt es wie ein verzweifelter Wettlauf der Koalitionspartner um die Themenhoheit. Allerdings gibt es in beiden Parteien auch Widerstand gegen übereilte Festlegungen in der Atompolitik.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner hatte gefordert, die im Rahmen des Moratoriums abgeschalteten Altmeiler nicht mehr ans Netz zu nehmen. Die Kernenergie habe in Deutschland ihre öffentliche Akzeptanz verloren, die Politik müsse darauf reagieren. Lindners Vorpreschen, offensichtlich nur mit Westerwelle abgestimmt, sorgt nun in den eigenen Reihen für Irritationen – Tenor der Kritik: Man müsse erst die Beratungen des dreimonatigen Moratoriums abwarten. „Dass man jetzt schon weiß, was am Ende dieses Abwägungs- und Denkprozesses herauskommt, halte ich weder für fachpolitisch begründet noch für glaubwürdig“, erklärte etwa der technologiepolitische Sprecher der FDP, Martin Lindner.
Breitere inhaltliche Aufstellung
Da ist also der – bisher nicht überzeugende – Versuch einer Neupositionierung in der Energiepolitik. Ganz allgemein brauche die Partei eine thematische Grundsatzdebatte, fordert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP müsse inhaltlich wieder auf die Höhe der Zeit kommen. So wollen die Liberalen in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik neue Akzente setzen. Allzu lange hatte sich die FDP auf das Steuerthema fixiert, aber in regelmäßigen Abständen – auch jetzt wieder – lässt Finanzminister Wolfgang Schäuble wissen, dass es für Steuersenkungen keinen Spielraum gebe. Die thematische Einengung hat den Liberalen nach Einschätzung von Politologen stark geschadet, eine breitere inhaltliche Aufstellung ist notwendig, die auch gesellschaftspolitische Bereiche einbeziehen sollte. Der Schutz der Bürgerrechte etwa war einmal ein Anliegen der Liberalen, mit dem sie sich wieder in Erinnerung rufen könnten.
„In der Partei brodelt es“
Noch dringlicher geht es ums Personal. Zuletzt forderte Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis Westerwelle auf, bereits vor dem offiziellen Parteitag im Mai seinen Rückzug von der Parteiführung anzukündigen. „Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen“, so Chatzimarkakis in einem Interview mit dem „Stern“, „in der Partei brodelt es.“ Rücktrittsforderungen kommen auch von einzelnen Abgeordneten und aus den Reihen der Jungen Liberalen.
Schon länger gibt es den Vorwurf gegen Westerwelle, dass er der Doppelbelastung als Parteivorsitzender und Außenminister nicht gewachsen sei. Westerwelle selbst jedoch klammert sich vorerst an den Parteivorsitz. „Ich bleibe“, hatte er am Sonntag schon vor Bekanntwerden der Ergebnisse erklärt. Wäre seine Partei in beiden Bundesländern aus dem Landtag geflogen, hätte er sich wohl nicht halten können. So jedoch stand Westerwelle am Montag vor den Hauptstadtjournalisten, völlig ratlos wirkend, und kündigte eine parteiinterne Debatte an, für die er gar nicht genügend Attribute finden konnte: geordnet, überlegt, umfassend, intensiv, tiefgründig. Aber nur ja keine übereilten personellen Entscheidungen, die „lediglich als Blitzableiter dienen“.
Westerwelle will wohl Zeit gewinnen. Aber angesichts des Aufruhrs in der FDP könnte es schwierig werden, Personalentscheidungen allzu lange aufzuschieben. An den Kragen könnte es Rainer Brüderle gehen, der zwar den Parteivorsitz in Rheinland-Pfalz zurückgelegt hat, aber Wirtschaftsminister bleiben will, Fraktionschefin Birgit Homburger – oder dem Parteivorsitzenden höchstpersönlich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2011)