Die Unterschicht der Unausgebildeten

Liegt der Staat mit einer Ausbildungspflicht ebenso richtig wie mit der Schulpflicht? Oder muss nicht der Eigenverantwortung irgendwann der Vorzug gegeben werden?

An ihre Kriege wie etwa den Siebenjährigen, bei dem Schlesien verloren gegangen ist, erinnert sich kaum noch jemand. An die Namen ihrer sechzehn Kinder ebenso wenig. Doch die Einführung der Schulpflicht hierzulande ist im kollektiven Gedächtnis der Österreicher noch heute mit dem Namen Maria Theresia verknüpft.

Es war ein Meilenstein in der Entwicklung des Landes, ein Schritt in die Moderne. Bis dahin waren Kinder in erster Linie als billige Arbeitskräfte angesehen worden, die nicht selten zu Hause auf Geheiß der Eltern ihren „Frondienst“ verrichteten. Mit der Allgemeinen Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämmtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern, unterzeichnet am 6.Dezember des Jahres 1774, konnten sie der ständigen Verfügbarkeit durch ihre Eltern entzogen werden.

Es war ein Zwang zum Wohl des Kindes. Viele kehrten nach ihrer schulischen Grundausbildung zwar wieder auf die Felder zurück, doch der Staat bot ihnen zumindest neue Möglichkeiten. Und profitierte letztlich selbst vom gebildeteren „Humankapital“.

Im Jahre 2011 geht die aktuelle österreichische Bundesregierung noch einen Schritt weiter. Bisher hat sie eine Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis zum 18.Lebensjahr abgegeben. Doch anscheinend wollten viele Jugendliche gar nicht ausgebildet werden und einem geregelten Lehralltag nachgehen, sondern lieber ganztags in der Lugner- oder Millenniums-City abhängen.

Die rot-schwarze Koalition erwägt daher nun, den Spieß umzudrehen und eine Ausbildungspflicht für Jugendliche einzuführen. Und es spricht auch einiges dafür. Nur dass man diesmal die Jugendlichen nicht vor der „Obhut“ ihrer Eltern schützen muss, sondern vor sich selbst.

Denn natürlich ist es in diesem Alter für viele wesentlich lustiger, den Tag vor der Playstation oder im Kick-Käfig zu verbringen denn als Lehrling in einer Werkstatt. Pubertierende müssen eben bisweilen zu ihrem Glück gezwungen werden. Vielfach sind sie Jahre später dafür dann auch dankbar.

Aus Sicht des Staates ist es verständlich, Jugendliche zu zwingen, sich in die werktätige Gesellschaft einzugliedern. Denn die Folgekosten für eine Zunahme des arbeitslosen Prekariats hat dann wiederum der Staat zu tragen. Und eine Unterschicht der Unausgebildeten, die keine Steuern zahlt, sondern lediglich Transferzahlungen entgegennimmt, kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein, auch nicht in jenem seiner Leistungsträger. Nicht nur, aber gerade auch für die Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien könnte diese Maßnahme durchaus nützlich sein.

Die Medaille hat allerdings auch ihre Kehrseite. Zum einen steht dieser Zwang zur Pflicht – zumindest aus liberaler Sicht – dem Prinzip der Eigenverantwortung diametral entgegen. Jugendliche dürfen heute mit 16Jahren wählen. Ist da nicht auch bereits der Eigenverantwortung der Vorzug gegenüber staatlicher Bevormundung zu geben? Und auch die Eltern wird man diesbezüglich nicht aus der Verantwortung entlassen können.

Zum anderen ist nicht gesagt, dass jeder, der zum Abschluss einer Lehre verpflichtet wurde, für diesen Beruf auch wirklich geeignet ist. Und es wird auch Menschen geben, die mit einer Tätigkeit als Hilfsarbeiter zufrieden sind.

Zumal die Problemfälle, um die es sich in der aktuellen Debatte nun dreht, die Zahl fünftausend ohnehin nicht übersteigen sollen. Jeder Einzelne ist selbstverständlich einer zu viel, aber die einigermaßen niedrige Anzahl ist dann doch wieder einigermaßen beruhigend.

Auch wenn es angesichts der (gefühlten) Zunahme der Bildungsverweigerer zynisch klingen mag: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Oder sollte es zumindest sein. Allerdings kann man wohl nicht von jedem Jugendlichen erwarten, dass er – auch wenn er den High Score am Ego-Shooter hält – diesen Grundsatz auch schon behirnt.

Ob es aber etwas nützt, wenn dann Papa Staat eingreift und den leiblichen Eltern die Familienbeihilfe streicht, sei dahingestellt.
Regierung plant Ausbildungspflicht für Jugendliche Seite 1

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2011)

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