Die Netrebko als Anna: Der Operngipfel

Netrebko Anna Operngipfel
Netrebko Anna Operngipfel(c) APA/WIENER STAATSOPER / MICHAEL (WIENER STAATSOPER / MICHAEL P�HN)
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Staatsoper. Jubel um eine Donizetti-Premiere, die den Musikfreunden ein Dreigespann großer Frauenstimmen bescherte: Neben der Königin brillierten Elina Garanča und Elisabeth Kulman.

Die erste Glanzleistung des Premieren-Abends vom vergangenen Samstag: Direktor Meyer hat ein Stück gefunden, das in der Wiener Staatsoper noch nie gespielt wurde, aber doch zu den bedeutenden Werken der Operngeschichte zählt; und das Partien für zwei große Gestalterinnen bietet, die im Zentrum des Werk in einem spannungsgeladenen Dialog aneinander geraten. Dergleichen Stücke gibt es nicht viele, „Anna Bolena“ ist eines.

Die zweite Glanzleistung, sie droht angesichts der zum Teil wirklich atemberaubenden Leistungen auf der Szene überhört zu werden: Evelino Pidò am Dirigentenpult schafft es, bereits in der einleitenden „Sinfonia“ klarzustellen, dass an diesem Abend nicht der bei Belcanto-Opern in Wien notorische orchestrale Schlendrian herrschen wird. Pidò will jede kleinste Phrase, jeden Akkord nicht irgendwie absolviert wissen, sondern mit Animo und Wissen um das, was gerade in der Handlung vor sich geht gestalten. Die Musiker folgen seinen beschwörenden Gesten dankenswerter Weise. Donizetti haben sie schon lang nicht mehr, wenn überhaupt je, so detailversessen und mit so viel Klangsinn gespielt (sogar was die geradezu subtil am harmonischen Geschehen beteiligten Blechbläser betrifft).

Der „totale Maestro“

Pidò, Inbegriff dessen, was die Italiener „Maestro concertatore e direttore d'orchestra“ nennen, organisiert und modelliert aber auch das, was vokal an diesem Abend geschieht, vor allem die vielen heiklen Ensembleszenen mit dem (ordentlichen, aber nach wie vor nicht exzellenten) Chor fanatisch. In diesem musikalischen Korsett kann sich das königliche Intrigenspiel ereignen.

Im Wesentlichen geht es nämlich um die Befindlichkeiten von Königin Anna und deren Hofdame, Jane Seymour, die eine melancholisch ob der schwindenden Liebe des Königs, gleichwohl kämpferisch und stolz, die andere ehrgeizig und eitel als Konkubine Heinrichs, dann aber doch zögerlich und schuldbewusst angesichts der Früchte ihres Tuns: Anna wird mittels Intrige der Untreue bezichtigt, gefangen gesetzt und schließlich enthauptet.

Eine Story, wie ein Kriminalfilm

Mittendrin im vom Librettisten Felice Romani kriminalfilm-tauglich gestrickten Komplott: der Page Smeton, verliebt in Anne Boleyn und williges Werkzeug im Ränkespiel der Hofschranzen. Dritte Glanzleistung der Premiere: Elisabeth Kulman, der Donizetti keine Arie mit applausträchtigem Schluss schenkt (!), entfesselt geradezu ein Feuerwerk an vokaler und darstellerischer Kunst, wohllautend bis in die tiefsten Register in der (schließlich von der Königin unterbrochenen) Romanze, verzehrend schön in der einsam-verlorenen Cavatine im Schlafgemach der Königin.

So wird eine, wenn auch für die Handlung wichtige, Nebenfigur zur ebenbürtigen Partnerin der Hauptdarstellerinnen. Die sind in ihrem Element. Die Garanča, ihrer unwiderstehlichen Ausstrahlung voll bewusst in den ersten, verstohlenen Gesprächen mit dem König, dann im Wechselbad der Gefühle fast zerrissen angesichts der eingekerkerten Anna. Ein Dialog, wie ihn Garanča und Netrebko führen, gehört in seiner vokalen Dichte und Intensität zu jenen singulären Erlebnissen, die ein Opernfreund wohl lebenslang in Erinnerung behält. Zwei Pracht-Stimmen im vollen Saft ihrer Ausdruckskraft, fähig, feine Gefühlsregungen im melodischen Fluss mitschwingen zu lassen. Das ist es, was Belcanto ausmacht.

Die wahren Belcanto-Künste

Minutenlange Applaus-Salven lassen wohl jede (immerhin mögliche) Kritik an kleinen Schlampereien in Sachen Koloraturgewandtheit und -sauberkeit verstummen. Hier ist alles Ausdruck. Wie schwer Donizetti zu singen ist, hört man etwa an Francesco Melis Lord Percy, Anne Boleyns erstem Ehemann, der bewundernswert mutig auch in den kniffligste Tenor-Lagen um Differenzierung und Pianokultur bemüht ist. Und um die Lösung der schier unlösbaren Frage, wie man das Wissen um die Singtechnik der italienischem Romantik (mit sehr hohem Falsett-Anteil) mit dem heutigen Geschmack verschwistern könnte (der Kopfstimme aller „Originalklang-Begeisterung zum Trotz grundsätzlich verschmäht).

Unter diesem Aspekt ist Melis Leistung als exzellent zu bezeichnen; während sich König Heinrich der Beurteilung entzog: Ildebrando d'Arcangelo sang, hörbar noch angeschlagen, weil die Kameras zur Voraufzeichnung für die Übertragung bereits aktiv waren – und wird dann (5. April) hoffentlich auch rhythmisch etwas präziser agieren . . .

Keine SS-Uniform weit und breit

Ach ja: Manchen Buhruf gab es für das Regieteam. Eric Génovèse hat in Dekors von Jacques Gabel und Clarie Sternberg dafür gesorgt, dass die geschilderten Intrigenspiele vor stimmig arrangierten Tableaus ungestört und in der rechten theatralischen Intensität ablaufen. Die Kostüme von Luisa Spinatelli setzen das Spiel unzweifelhaft in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das ist erstaunlicher Weise die Zeit der Regentschaft Heinrichs VIII. Jeder Filmregisseur würde wohl ähnlich verfahren. Es gibt jedoch Zeitgenossen, die der Ansichat sind, Opernversionen solch historischer Stoffe hätten in Supermärkten oder auf der Müllhalde zu spielen – und Wachpersonal hätte nicht in Rüstung, sondern SS-Uniformen aufzutreten. Was das zur Glaubwürdigkeit einer Opernaufführung beitragen soll, hat freilich noch niemand erklären können. Die breite Mehrheit des Publikums fand es denn auch großartig, dass „Anna Bolena“ in der Staatsoper nicht nur so klingt wie „Anna Bolena“, sondern auch so aussieht.

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