Russland: Ein Sündenfall gegen die Freiheit

Moskau lebt vor, dass Machtkonzentration und mangelnder gesellschaftlicher Liberalismus ein System im globalen Wettbewerb nur zerstören können.

Wenn Wladimir Putin auftrat, strahlte er stets eine unheimliche Kühle aus. So erschreckend die mangelnde menschliche Regung schien, so sehr war sie auch Grund für seine Popularität – intern wie extern. Denn Russlands Gesellschaft und eigentlich auch viele in Europa hatten Sehnsucht nach einem, der dieses Land mit starker, pragmatischer Hand führt. Wir erinnern uns, wie ein Wolfgang Schüssel oder Gerhard Schröder Verständnis für Putins undemokratische Regierungsform äußerte. Sie galt ihnen als alternativenloses Erfolgsrezept für einen der komplexesten Staatsgebilde der Welt. Aber auch im eigenen Land war Putin lange äußerst populär. Politische Gegenströmungen hatten nicht allein wegen Restriktionen und Behinderungen durch den Geheimdienst wenig Chancen. Ihnen fehlte schlicht die Basis in der russischen Gesellschaft.

Jetzt langsam wird offensichtlich, wie kurzsichtig diese Denkweise war. Russland hatte seit seinem Fastbankrott in den 1990-Jahren wirtschaftlich in erster Linie Glück. Hinter dem Erfolg stand kaum ein System, sondern vielmehr der stetig steigende Öl- und Gasbedarf des Westens und die steigenden Energiepreise. Die Regierung in Moskau hat diesen gewaltigen Geldfluss nicht etwa in Zukunftstechnologien investiert. Sie hat die Wirtschaft nicht etwa auf mehrere attraktive Beine gestellt oder die Menschen zum Aufbau von Unternehmen motiviert. Sondern sie hat der ökonomischen und politischen Machtkonzentration Vorschub geleistet. Wenn nun Präsident Dmitrij Medwedjew die Putin-Getreuen aus den Staatskonzernen treiben möchte, hat er zwar das Problem erkannt, doch noch lange nicht ein Erfolgsrezept entwickelt. Ihm fehlt für einen Systemwechsel schlicht die Gunst der Stunde. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind katastrophal, seine eigene Machtbasis ist dünn.

Russland zeigt anderen Weltmächten vor, dass Machtkonzentration automatisch in Stagnation führen muss. Denn sie zerstört jegliche Selbstverantwortung, sie demotiviert die Gesellschaft durch Freiheitsentzug. Sie schafft keine breite stabile Basis, da sie den Aufbau einer gesellschaftlichen Mittelschicht behindert. So etwas wie privates Unternehmertum kann nur durch ausreichende Freiräume und Chancengleichheit entstehen. Die auf eine politische Elite fixierte Machtkonzentration hingegen schafft eine Enge, die auf der einen Seite durch die Bürokratie, auf der anderen Seite durch hohe Zäune der Korruption begrenzt ist.

Eine ähnliche Machtkonzentration wie in Russland gibt es freilich auch in China. Doch dort hat die politische Führung erkannt, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern darf, dass eine Öffnung und vor allem Differenzierung der Produktion notwendig sind, um in einem äußerst harten internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Im Gegensatz zu Moskau hat Peking diese Gratwanderung bisher erfolgreich absolviert. Ob sie freilich ohne demokratische Reformen zukunftsträchtig ist, darf bezweifelt werden. Es mag ein Indikator mangelnder Freiheit und somit auch mangelnder Kreativität sein, dass dieses Land bei vielen seiner Exportgüter vor allem auf Plagiate, nicht auf eigene Entwicklungen setzt.


Für Europa stellt sich angesichts der beunruhigenden Lage in Russland die Frage, ob es sich weiterhin an seinen wichtigsten Gaslieferanten anbiedern soll, oder ob es auf einen Systemwechsel setzt. Russlands Führung hat lange die enge Partnerschaft mit der Europäischen Union ausgeschlagen und stattdessen auf ökonomische Erpressungen gesetzt. Programme, die auf eine breitere wirtschaftliche Zusammenarbeit über den Energiebereich hinaus abzielten, wurden von EU-Seite angeboten, sind aber oft an Korruption und politischen Interventionen der russischen Seite gescheitert.

Europa muss aus sicherheitspolitischen wie aus wirtschaftlichen Gründen Interesse an einem stabilen Russland haben. Aber es würde sich selbst einen Bärendienst erweisen, würde es dazu beitragen, dass die aktuelle Machtkonzentration in Moskau trotz offensichtlicher Erosionserscheinungen künstlich verlängert würde.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2011)

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