Trauung auf Türkisch: Gold, Geld und Atatürk

In der türkischen Community ist ein Kampf um die Kosten einer Hochzeitsfeier entbrannt.

Fünfzig Euro als Geschenk für das Brautpaar? Ja – wenn man sich blamieren will. Nicht zu spät am Abend und nicht zu früh kommt während jeder türkischen Hochzeit der Zeitpunkt, zu dem das Brautpaar beschenkt wird. Dann werden die Geldbörsen gezückt, die Kameras positioniert, das Mikrofon laut eingestellt und ein großer Beutel organisiert. Die Schenker werden nämlich namentlich genannt, auch die Summe ihrer Großzügigkeit. Und die Kamera hält selbst das Sammeln der Geldscheine im großen Beutel akribisch fest.

„Früher“, sagt Aydin Kilic, „war das Geld für das Brautpaar als Notgroschen für schlechte Zeiten gedacht. Als finanzielle Hilfe für ihr neues Heim.“ Und heute? Reiner Handel. So viel, wie du mir schenkst, schenke ich dir bei deiner Hochzeit, laute das Motto. Kilic muss es wissen: Türkische Hochzeiten sind seit 15 Jahren sein Geschäft – er ist Wedding-Planer (mozaik.at) und organisiert österreichweit rund fünf Hochzeiten im Monat. Dass die Tradition des Geldschenkens zu einem „Handel“ verkommen ist, sei nur eine der negativen Entwicklungen bei Hochzeiten à la Turque. In der Community sei ein richtiger Preiskampf entbrannt: eine Feier mit möglichst vielen Leuten, aber möglichst günstig. Wobei hier günstig relativ ist – unter 5000 Euro lässt sich kaum eine Hochzeit veranstalten.

Der neue „Geiz“ in der Community hat einen ganz simplen Grund. Bevor das Brautpaar überhaupt bei seiner eigenen Hochzeit tanzen kann, hat es eine Reihe von Feiern und Zeremonien hinter sich gebracht. Angefangen vom offiziellen Anhalten um die Hand der Braut – wobei beide Familien hier anwesend sind –, von der Verlobungsfeier, dem Henna-Abend (ein Abschiedsabend für die Braut, die nun das Heim der Eltern verlässt) bis hin zur Trauung, die in der türkischen Community ein eigenes Fest ist und oft die Dimensionen der eigentlichen Hochzeit erreicht, was die Gästezahl betrifft. Diese Zeremonien haben eines gemeinsam: Sie werden immer aufwendiger, sie kosten viel Geld. „Dann denken die Eltern: ,Wir haben schon so viel ausgegeben, wenigstens die Kosten für die Hochzeit sollen sich in Grenzen halten‘“, sagt Kilic. Ein nahezu unmögliches Unterfangen: Salon, Essen, Musik, Kameraleute, Einladungen und Torte haben ihren Preis. Mit den Anbietern wird um jeden Euro gefeilscht, sagt Kilic.

Auch die rund ein Dutzend Hochzeitssalons in und um Wien wollen profitieren. Das gehe so weit, so Kilic, dass mittlerweile zwei Feiern in einem Saal stattfinden, nachmittags und abends. 20 türkische Hochzeiten an einem Tag sind keine Seltenheit.

Hupende Autokolonnen. Wie viel eine Feier letztlich auch kostet – den Status eines gesellschaftlichen Ereignisses hat eine Hochzeit auch in der Emigration beibehalten. „Hier treffen sich Leute, die sich unter der Woche nicht sehen“, sagt Kilic. Eine Hochzeitsfeier bedeutet für die Community auch ausgehen, Kaffeeklatsch, Geschäftstreffen und Familienfeier.

Zwar ist eine türkische Hochzeit (wie in anderen Kulturkreisen auch) eine familiäre Angelegenheit; hinzu kommt allerdings, dass die Feier im selben Maß auch ein gesellschaftliches Ereignis ist. Das zeigen allein die hupenden Autokolonnen, die durch die Straßen fahren, bevor es zur Feier geht. Die Message der Aktion: „Wir heiraten, kommt alle vorbei.“ Bisweilen stellen Hochzeiten sogar eine Verpflichtung dar. „Wenn jemand eingeladen wird, aber todkrank im Spital liegt, schickt er wenigstens seinen Sohn oder seine Frau“, sagt Kilic. Man will sich schließlich – wieder einmal – nicht blamieren. Letztlich sind rund 1000 Gäste bei einer türkischen Hochzeit nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Zumindest einer ist bei jeder türkischen Hochzeit, Trauung, beim Henna-Abend und sonst mit dabei: Mustafa Kemal Atatürk. Goldmünzen mit dem Konterfei des Staatsgründers („Republik Münzen“) sind – neben Bargeld – das häufigste Geschenk. Auch das hat einen simplen Grund: Stehen finanziell schwierige Zeiten für das Paar an, können die Münzen beim Juwelier in Bargeld umgewandelt werden. Trotz aller Ausgaben – ein finanzieller Polster für das Paar, der funktioniert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2011)

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